Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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unbedingte oder teilweise Ruhe zu heben d. h. gar nichts zu essen, bis sich der 
Magen wieder als arbeitsfähig im Dienste meldet, oder, wo die Appetitlosigkeit 
chronisch auftritt, nur die leichtesten Speisen mit Maß zu genießen, um die 
Kräfte zu schonen. Dies ist freilich das Gegenteil von der gewöhnlich geübten 
Praxis, die ermatteten Organe durch Reizmittel aller Art, wie schwere Weine 
und Biere, starke Brühen, Kaffee und Thee bis zur völligen Erschöpfung 
zu setzen. 
Man verzeihe diese Abschweifung; sie ist die Erklärung der vorher 
geschilderten Folgen falscher Ernährung und bietet einen Anhalt zu naturgemäßer 
Hebung derselben. Es ist durchaus unnötig, unseren Kindern die Befriedigung 
ihrer leidlichen Bedüfnisse lehren zu wollen. Die Natur hat da einen weit 
sicheren Führer ihren Geschöpfen mitgegeben, der nie irrt, wie uns die im 
Naturzustände lebenden Tiere beweisen. Wenn wir diesen, uns durch unsere 
Vernunft klüger bedünkend, ablehnen, so gehen wir gar leicht irre. Ich meine 
den Instinkt. Wenn wir Menschen, besonders in civilisierten Ländern, ihn kaum 
mehr besitzen, so ist dies unsere Schuld. Wir begehen ein Unrecht, das sich 
bitter an uns rächt, weil wir meinen, wir dürften dieses göttliche Geschenk 
abweisen als zu gering, da uns das höhere Licht der Vernunft gegeben wurde. 
Ich denke, wir sehen täglich, wohin uns dieser geistige Hochmut geführt hat, und wir 
werden gut thun, uns wieder der leitenden Hand der Mutter Natur anzuvertrauen. 
Ihre Gebote sind so klar und bestimmt, daß sie von dem einfachsten Verstände 
begriffen werden. So lange der kleine Mund noch keine Zähnchen aufweist, 
gebührt dem Kinde einzig nur flüssige Nahrung. Mit dem wachsenden Gebiß 
kommt die Lust am Beißen und mit dieser der Wunsch nach fester Nahrung. 
Warten wir also diese Zeit geduldig ab, Aber auch jetzt richtet sich der Appetit 
aus ganz andere Dinge, als auf unsere Genußmittel. Obst, Milch, Mehlspeisen 
und süße Kost sind die Schwärmerei unserer Kleinen. Lassen wir sie dabei 
und machen wir sie durch dieselben glücklich. Sie entbehren wirklich nichts, 
wenn sie unsere Delikatessen nicht bekommen. Sie haben kein Verständnis für 
diese gekünstelten Leckereien. Gönnen wir ihnen die naturgemäßen. Auch nach 
Fleischspeisen steht anfänglich nicht ihr Sinn. Warten wir auch damit, bis der 
Wunsch danach von selbst rege wird. Folgen wir streng den sich offenbarenden 
natürlichen Gesetzen, so dürfen wir eines kräftigen Gedeihens unserer Lieblinge 
sicher sein. 
Eng verknüpft mit-der körperlichen Schädigung durch falsche Ernährungs 
weise ist auch die sittliche, wie überhaupt beide Gebiete in weit engerer Wechsel 
wirkung stehen, als wir gemeinhin annehmen. Die Güte des Schöpfers hat 
die Befriedigung aller leiblichen Bedürfnisse seiner Geschöpfe zu einem Genuß 
für dieselben gemacht. Doch ist auch eine weise Grenze gezogen. Mit dem 
Bedürfnis hört der Genuß auf. Nur der Mensch trachtet unersättlich, diesen 
über jenes hinaus auszudehnen. Der Appetit soll länger dauern als der 
Hunger, die Labung länger als der Durst. Darum erfand er sich die Genuß 
mittel, welche seine Sinne, seine Nerven reizen, ohne dem Leibe Stärkung zu 
zuführen. Zwar erreichte er seinen Zweck, büßt jedoch zugleich ein gutes Teil 
seiner Kraft und Gesundheit ein. Ader die stets gütige Natur trachtet uner 
müdlich jene Schäden wieder auszugleichen, indem sie 'jedem Kinde von neuem 
den Instinkt der Sättigung einimpft. Dasselbe nimmt mit Genuß und Behagen 
die gebotene Nahrung auf, weist sie aber zurück, sobald der Hunger gestillt ist. 
Erst wenn bei jedem Schrei der Mund mit Speisen gestopft wird, erst wenn 
fortdauernd Genußmittel und unzuträgliche Eßwaren demselben zugeführt 
werden, stumpft sich der Instinkt ab, und die Lüsternheit, Genäschigkeit, Unmäßig 
keit treten als krankhafte Erscheinungen an die Stelle.
	        
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