Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Energie, mit welcher derselbe von ihr begrüßt wird? Diese letztere aber leidet 
zumeist unter zu großer Körperfülle, indem sich Schwerfälligkeit und Trägheit 
einstellen. Strenge Regelmäßigkeit in den Mahlzeiten und nie mehr Speise 
zu bieten, als gefordert wird, ist der beste Wegweiser für den richtigen 
naturgemäßen Weg. 
Noch in anderer Weise wird in Bezug auf die Ernährung des Kindes 
von den lieben Angehörigen gesündigt. Die guten Tanten und Großmütter 
können es oft'gar nicht erwarten, bis das Kleine an den gemeinsamen Mahl 
zeiten der Erwachsenen teilnehmen kann. Einstweilen muß es dabei sitzen und 
zusehen. Man schiebt ihm ab und zu ein Bröckchen Kartoffel oder Fleisch, ein 
wenig in Kaffee getauchte Semmel, und was der Leckerbissen mehr sind, in den 
kleinen Mund. Anfangs werden dieselben mit Sprudeln und Spucken wieder 
herausgebracht, und das mißvergnügte Gesichtchen zeigt deutlich, wie unangenehm 
diese fremdartigen Stoffe auf die Zunge wirken; aber es wird als possierlich 
verlacht, der zurückgewiesene Bissen immer von neuem in d'as kleine Mäulchen 
geschoben, bis der Widerstand gebrochen ist und das Kind ,,essen gelernt" hat. 
Allmählich wird die unnatürliche Kost begehrlich genossen und mit Ungestüm 
verlangt. Das giebt nun wieder neuen Spaß, wenn die kleinen Wesen mit 
Genuß Kaffee, Wein, Bairisch Bier schlürfen, oder zappelnd und schreiend nach 
Wurst, Schinken und anderen gewürzten Speisen verlangen. Das geht so eine 
gute Weile fort, bei einem längere, beim andern kürzere Zeit. Nach und nach 
stellt sich bei sehr großer Eßlust und scheinbar trefflicher Verdauung Abmagerung, 
Mattigkeit und schlechte Laune ein. Man zerbricht sich den Kopf, man befragt 
den Arzt. Da soll Verkältung und wer weiß was alles Schuld an dem Übel 
haben. Man sucht durch kräftigere Speisen und Getränke dem Körper zu 
Hilfe zu kommen , und erzielt nur um so größere Schwächezustände. Die Ursache 
des Leidens findet man nicht, oder will sie nicht finden, weil sie ein Vorwurf 
für die Pfleger ist. In anderen Fällen stellt sich das Gegenteil, Appetitlosigkeit, 
ein, welche dem kräftigsten Tokayer, den besten Brühen, den reizendsten Medi 
kamenten nicht weichen will. Neben der Unlust zum Essen zeigt sich Unlust zum 
Spiele und zu jeglicher Thätigkeit. Alle Lebensfreude scheint von dem kleinen 
Weltbürger gewichen zu sein und schon in so frühen Jahren dem Lebensüberdruß 
Platz gemacht zu haben. Dies sind die traurigen Folgen der unnatürlichen 
Lebensweise. 
Wenn wir uns auf einer Fußreise übermüdet haben, wenn wir bei einer 
Arbeit uns übermäßig anstrengten, so finden wir den Zustand allgemeiner 
Erschöpfung natürlich und wissen, daß ein Tag Ruhe und ein gesunder Schlaf 
die scheinbar verlorenen Kräfte rasch wieder ergänzt. Daß aber dasselbe 
Verhältnis bei den Verdaungsorganenen herrscht, daran wird kaum gedacht. 
Immer lebt man in dem Wahn, daß die dem Magen zugeführten Speisen eine 
direkte Stärkung desselben seien. Mit nichte«! Die Stärkung kommt ihm 
nicht eher von der aufgenommenen Nahrung als jedem anderen Organ, nämlich 
durch den Kreislauf verarbeiteter Säfte. Sie ist also zunächst für ihn ein 
zu verarbeitendes Material. War die Mahlzeit zu reichlich, oder waren die 
Gerichte zu schwer, so werden dadurch der Magen und die übrigen Verdauungs 
organe, welche sich in die Arbeit zu teilen haben, übermäßig angestrengt. Alle 
Kräfte des Körpers werden für dies schwierige Werk beansprucht, und wir befinden 
uns in einem ähnlichen Zustande der Erschöpfung, wie nach einer großen Land 
reise. Daß sich bei starker Überladung des Magens diese Ermattung bis zu 
ohnmächtiger Schwäche steigert, bis eine Entleerung desselben erfolgt, kennen 
wohl fast alle aus Erfahrung. Wenn nun diese Zustände den anfangs erwähnten 
gleich sind, so ist es auch richtig, dieselben auf gleich einfache Weise durch
	        
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