Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Fenster bis auf einen feinen Spalt öffnet und vor diesem zur Abhaltung des 
direkten Luftzuges einen Schirm stellt. 
Die Zimmertemperatur im Winter suche man überhaupt nicht viel über 
13° R, zu treiben; man wird sich sehr bald daran gewöhnen und wahrnahmen, 
daß man sich viel leichter und wohler dabei bestndet, als bei einer Zimmer 
wärme von 16° und mehr. Ein Aufenthalt in kühler Luft in genügend warmer 
Kleidung ist stets angenehmer, als in sehr warmer Luft und leicht gekleidet. 
Die Luft im Freien ist nun auch nicht überall dieselbe und von gleicher Güte; 
sie ist im Gebirge meist noch reiner, als in der Ebene; im Nadelgehölz auf 
mehr sandigem Boden würziger und gesünder, als im Laubholz auf moorigem 
feuchtem Boden; am Morgen reiner, als am Abend u. f. w. Alle diese und 
ähnliche Maßnahmen müssen bei der Wiederherstellung eines zerrütteten Nerven 
systems wohl berücksichtigt werden. Wenn nun auch im allgemeinen ein „Zu 
warm" ebenso nachteilig auf ein geschwächtes Nervensystem einwirken kann wie 
ein „Zu kalt", so ist doch die Wärme überhaupt als ein gewaltiges Heilmittel 
zu betrachten, das bei der Behandlung Nervenkranker eine so wichtige Rolle 
spielt, daß die geringste Vernachlässigung desselben auch sofort von nachteiligen 
Folgen begleitet ist. Ganz besonders läßt sich das, wie wir weiter unten sehen 
werden, bei der Behandlung solcher Kranken mit Wasser und von der Kleidung 
sagen. Die letztere muß immer so eingerichtet sein, daß sie den Körper gleich 
mäßig warm zu halten vermag, und nicht so, daß die Gliedmaßen, besonders 
die Füße leicht kalt werden und dadurch die Gleichmäßigkeit des Blutumlaufs 
stören können. Kopf und Hals allein dürfen etwas kühler gehalten werden. 
Man muß aber auch darauf achten, daß infolge zu warmer Kleidung keine zu 
große Erhitzung und infolgedessen noch eine größere Erschlaffnng des Körpers 
eintritt, als von Hause aus schon vorhanden. Dichte Lagen von Wolle oder 
Pelz würden sonach zu vermeiden sein; man kann dadurch den gegen Witterungs 
wechsel empftndlichen Körper noch empfindlicher und schließlich gradehin unfähig 
machen dem leisesten Luftzuge, wie er ja im Freien selbst in den heißesten 
Sommertagen vorzukommen pflegt, ohne Nachteil zu widerstehen. Wie mit 
der Kleidung, so verhält es sich auch mit dem Nachtlager. Das Einhüllen in 
dicke Federbetten ist durchaus schädlich. Man wähle lieber wollene Decken, 
(Steiners Reform-Baumwollbett. D. Red.) die man ja, je nach Bedarf doppelt 
oder dreifach nehmen kann, und sorge vorzugsweise wiederum dafür, daß die 
Füße genügend warm erhalten bleiben. 
Wie schon aus der ganzen Natur des Leidens hervorgeht, bedarf der 
Nervenschwache vor allen Dingen der Ruhe, wie ein durch Arbeit auf kurze 
Zeit geschwächter Nerv und Muskel der Ruhe bedarf, um sich zu erholen und 
zu neuer Arbeit zu stärken. Diese Ruhe soll sich aber nicht blos auf den 
Körper, sondern auf Geist und Gemüt erstrecken, sie muß allseitig sein, wenn 
sie heilend wirken soll. Unter dieser Ruhe darf aber durchaus nicht vollständige 
und dauernde Unthätigkeit verstanden werden, welche für den Kranken von 
ebenso nachteiligen Folgen begleitet sein würde, wie unausgesetzte oder wenigstens 
zu große Thätigkeit und Aufregung. Die Natur verlangt selbst bei dem 
Vorhandensein der größten Nervenschwäche immer eine gewisse Anregung zur 
Thätigkeit, deren Grad zu dem vorhandenen Kräftevorrat in einem bestimmten 
Verhältnisse steht. Dieses Verhältnis durch Versuche aufzufinden, oder schon 
nach einem natürlichen Gefühle richtig zu beurteilen, vermag ein kluger Kranke 
bisweilen noch besser, als selbst der klügste Arzt, der niemals die Empfindungen, 
welche hier allein maßgebend sein würden, haben kann wie der Kranke, voraus 
gesetzt, daß dieser keinen Selbsttäuschungen unterworfen ist. Das Letztere ist 
nun freilich bei Nervenleidenden sehr häufig der Fall, so daß eine Beurteilung
	        
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