Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Handen, im Übrigen deutete alles auf Kolik. Gleichviel, was vorlag, die Be 
handlung war im Allgemeinen richtig, nur mußten mit Rücksicht auf das 
Fieber die feuchten Eindeckungen nasser und milder (18° R. oder 22,5° C.) 
genommen und öfter gewechselt werden. In dieser Weise wurde die Behand 
lung Tages über ohne anscheinenden Erfolg, mit Ausnahme, daß ab und zu 
Blähungen abgingen, fortgesetzt, so daß ich Nachmittags das Tier einmal aus 
der Brandspritze überbrausen, wieder trocken reiben und auf's Neue einpacken 
ließ. Abends wurde noch starke Abrahme des Fiebers festgestellt und für die 
Nacht Fortsetzung der Packungen (Erneuerung nach 2—3 Stunden) und 
Klystiere (alle 3 Stunden eines) befohlen. Am andern Morgen um 7 Uhr 
früh kam Futtermeister G. strahlenden Gesichts und meldete: „Das Pferd ist 
gesund, es hat einen fast ein Meter langen Bandwurm gelotet." Ich sah 
mir das corxus delicti an — die Leberentzündung des Roßarztes, da 
lag sie. Das Pferd wurde nunmehr eines der schönsten und kräftigsten im 
Stalle. Was wäre nach Kalomel und Brechweinstein erfolgt? 
Behandeln wir also einfach symptomatisch und mit naturgemäßen, 
unschädlichen Mitteln, dann wird uns die Natur durch den Verlauf der 
Krankheit in vielen Fällen über deren Wesen hinreichende Aufschlüffe erteilen, 
in anderen Fällen wird Heilung erfolgen, ohne daß uns Grund und innere 
Bedeutung der Krankheit klar geworden: immer besser, als daß die 
„genau erkannte" oder auch „verkannte" Krankheit „trotz" (oder in Folge?) der 
angewendeten Medikamente und „wissenschaftlichen Methoden" in Tod ausläuft! ■— 
Ganz ähnlich, wie hier in meinem Buche über die „inneren Krank 
heiten der Pferde," denke ich auch über die Diagnose bei menschlichen 
Leiden. 
Wer mir diese so sehr in den Vordergrund stellt, wie es bei der Medizin 
üblich ist, der macht sich mir stark verdächtig, den Geist und das wahre Wesen 
der Naturheilkunde noch nicht recht begriffen zu haben. 
Wie oft kommt der wahre Arzt in die Lage, handeln zu müssen, bevor 
irgend eine Diagnose möglich ist. Da wird er zu einem Kinde gerufen, 
welches fiebert — nur wenig —, bei Verstopfung keinen Hunger und belegte 
Zunge, gxröteten, heißen Kopf, aber keinerlei Schmerzen hat: Diagnose? Kann 
Hirnentzündung, kann Scharlach, Masern, Pocken, ein Unterleibsleiden u. s. w. 
sein oder werden. Der Naturarzt läßt feucht packen, 18° R. — Der kleine 
Patient wird in einer Stunde heiß und zum Halbbade reif — und siehe da, 
nach dem Halbbade treten die schönsten Pocken, tritt der schönste Scharlach, 
treten die schönsten Masern hervor — nun weiß man's und — wenn man 
auch die Namen nicht kennte, man würde die „fieberhafte Ausschlagskrankheit" 
doch richtig behandeln. 
Ich habe es erlebt, daß eine Dame Monate lang auf „Bandwurm" be 
handelt wurde — vergebens. Und als kein Zweifel mehr sein konnte (in 
Folge der Abgänge), daß kein Band- oder sonstiger Wurm vorhanden, da 
standen die gelehrten Mediziner am Berge. Ein Naturarzt nahm, auf den 
bleichsüchtigen, schlechten Ernährungszustand, die schlechte Verdauung und Schwäche 
der betreffenden Dame gestützt, ohne jede weitere Diagnose ihre Kur in An 
griff. Vegetarische Diät, gelinde Anwärmungen im Dampfkasten und im 
irisch römischen Bade mit nachfolgender milder, feuchter Packung und Halb 
bad, nächtliches Tragen von Leibumschlägen, Klystiere u. s. w., förderten viele 
Ausschläge an der Bauchdecke zu Tage, unter Anschwellung der Leisten-Drüsen. 
Endlich schwollen auch die Hals- und Mandeldrüsen an, es traten Geschwüre 
und Eiterungen an diesen und anderen Drüsen auf. Die Dame erinnerte sich, 
einst als Kind sehr gesund und blühend, aber nach der Revaccination schwer
	        
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