Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Packungen angelegt, welche alle drei Stunden gewechselt werden mußten. Die 
eiternde Kopfwunde, welche die Größe eines Zweimarkstückes hatte, mußte 
alle 2 Stunden mit in 16° Wasser angefeuchteter Gaze belegt und mit be 
sonders befeuchteter Kompresse und wollener Binde überdeckt werden. Diese 
Behandlung wurde drei Tage fortgesetzt, ohne daß sich die gewünschte Änderung 
im Zustande des Kranken zeigte. Am vierten Tage, als ich ihn nach der 
Packung baden wollte, bemerkte ich zu meinem größten Erstaunen, daß die 
ganze Körperhaut leichte Risse und Sprünge zeigte, so daß wir sie im Bade, 
wie die Haut von einem Häringe, in kleineren oder größeren Stücken abziehen 
konnten. Ich sagte zu den Angehörigen: Wenn die Natur in dieser Weise 
neues Leben giebt, ist zuhoffen, daß der Kranke wieder soweit hergestellt wird, 
daß er später leichtere Arbeit wird ausführen können. — Von jetzt ab wurde an 
einem Tage ein Fußdampfbad mit solgcnderHalbpackung und abschließendem Halb 
bad gegeben, am andern eine Ganzpackung und Halbbad verabreicht. Nach acht 
Tagen war das Bewußtsein soweit zurückgekehrt, daß der Kranke, wenn er seine 
Notdurft verrichten wollte, einen gurgelnden Laut hören ließ. Der sich jetzt ein 
stellende Appetit, welcher bald in kaum zu befriedigenden Hunger übexging, 
wurde mit Wassersuppe, Semmel und Obst gestillt; später auch mit leichtem 
Gemüse: Gries, Reis u. s. w. Wasser wurde fleißig verlangt und gereicht. 
Nach vierzehn Tagen war der Knabe soweit gekräftigt, daß er aus dem 
Bett heraus auf einen Stuhl gesetzt werden konnte. Am 17. Tage sagte 
mir die Großmutter bei meinem Besuche: ,,„Emil hat den rechten Fuß etwas 
nach dem Leibe gezogen!"" Um mich zu überzeugen, stellte ich den Kranken 
frei in die Stube, faßte seine Hände und versuchte einen Spaziergang. Es 
gelang, aber wie! Trotzdem waren wir alle herzlich froh, daß wir das erreicht 
hatten. Die Wunde am Schädel war wunderbar verändert: sie zeigte jetzt 
kaum noch die Größe eines Zwanzigpfennigstückes; auf der frischzugewachsenen 
Kopfhaut waren hin und wieder feine, wollartigc Haare zu bemerken. — Die 
Behandlung wurde nun in der oben beschriebenen Weise bis zum 7. Dezember 
fortgesetzt. An diesem Tage brachte auf meinen Wunsch die Großmutter den 
Kranken mit Hilfe seiner zwei Brüder im Wagen in meine Wohnung. Nun 
begann die elektrische Behandlung mit Spannungsströmcn und Funkenschlägen 
aus meiner großen Influenzmaschine. Außer der Großmutter und den zwei 
Brüdern des Kranken befanden sich noch sechs Personen, welche ein Dampf 
bad genommen hatten, in dem Elektrisierzimmer und beobachteten den Erfolg. 
Derselbe überraschte Alle! Nachdem ich den Kranken 15 Minuten elektrisiert 
hatte, stand derselbe ohne Hilfe vom Jsolierschemel auf und ging zu unserer 
Freude ziemlich sicher ungefähr sechs Schritte bis zu seiner Großmutter, 
welche ihn freudig bewegt in ihre Arme schloß. Von nun ab wurde an dem 
einen Tage gepackt und gebadet, am andern elektrisiert. Nachts trug Patienb 
stets Leib- und Wadenpackungen. Am 19. Dezember, also am 39. Tage der 
Behandlung, kam der Knabe mit seinen zwei Geschwistern zu Fuß von seiner 
Wohnung (Ronneburger Str.) in meine Anstalt (Bahnhof-Str.), ungefähr 
25 Minuten Wegs, in die elektrische Behandlung. Zu Weihnachten war er 
soweit hergestellt, daß er sich seine Festgeschenke, welche ihm seine Angehörigen 
versprochen hatten, selber holen konnte. Vom 2. Januar 1889 an hat Emil 
Knorr die Schule wieder besuchen können." 
Aus der medizinischen Wissenschaft. 
In No. 13 (1889) von Prof. Reclam^s „Gesundheit" (Redakteur: Dr. I. Ruff in Karls 
bad) findet sich unter Besprechung neuer Schriften Folgendes:
	        
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