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Packungen angelegt, welche alle drei Stunden gewechselt werden mußten. Die
eiternde Kopfwunde, welche die Größe eines Zweimarkstückes hatte, mußte
alle 2 Stunden mit in 16° Wasser angefeuchteter Gaze belegt und mit be
sonders befeuchteter Kompresse und wollener Binde überdeckt werden. Diese
Behandlung wurde drei Tage fortgesetzt, ohne daß sich die gewünschte Änderung
im Zustande des Kranken zeigte. Am vierten Tage, als ich ihn nach der
Packung baden wollte, bemerkte ich zu meinem größten Erstaunen, daß die
ganze Körperhaut leichte Risse und Sprünge zeigte, so daß wir sie im Bade,
wie die Haut von einem Häringe, in kleineren oder größeren Stücken abziehen
konnten. Ich sagte zu den Angehörigen: Wenn die Natur in dieser Weise
neues Leben giebt, ist zuhoffen, daß der Kranke wieder soweit hergestellt wird,
daß er später leichtere Arbeit wird ausführen können. — Von jetzt ab wurde an
einem Tage ein Fußdampfbad mit solgcnderHalbpackung und abschließendem Halb
bad gegeben, am andern eine Ganzpackung und Halbbad verabreicht. Nach acht
Tagen war das Bewußtsein soweit zurückgekehrt, daß der Kranke, wenn er seine
Notdurft verrichten wollte, einen gurgelnden Laut hören ließ. Der sich jetzt ein
stellende Appetit, welcher bald in kaum zu befriedigenden Hunger übexging,
wurde mit Wassersuppe, Semmel und Obst gestillt; später auch mit leichtem
Gemüse: Gries, Reis u. s. w. Wasser wurde fleißig verlangt und gereicht.
Nach vierzehn Tagen war der Knabe soweit gekräftigt, daß er aus dem
Bett heraus auf einen Stuhl gesetzt werden konnte. Am 17. Tage sagte
mir die Großmutter bei meinem Besuche: ,,„Emil hat den rechten Fuß etwas
nach dem Leibe gezogen!"" Um mich zu überzeugen, stellte ich den Kranken
frei in die Stube, faßte seine Hände und versuchte einen Spaziergang. Es
gelang, aber wie! Trotzdem waren wir alle herzlich froh, daß wir das erreicht
hatten. Die Wunde am Schädel war wunderbar verändert: sie zeigte jetzt
kaum noch die Größe eines Zwanzigpfennigstückes; auf der frischzugewachsenen
Kopfhaut waren hin und wieder feine, wollartigc Haare zu bemerken. — Die
Behandlung wurde nun in der oben beschriebenen Weise bis zum 7. Dezember
fortgesetzt. An diesem Tage brachte auf meinen Wunsch die Großmutter den
Kranken mit Hilfe seiner zwei Brüder im Wagen in meine Wohnung. Nun
begann die elektrische Behandlung mit Spannungsströmcn und Funkenschlägen
aus meiner großen Influenzmaschine. Außer der Großmutter und den zwei
Brüdern des Kranken befanden sich noch sechs Personen, welche ein Dampf
bad genommen hatten, in dem Elektrisierzimmer und beobachteten den Erfolg.
Derselbe überraschte Alle! Nachdem ich den Kranken 15 Minuten elektrisiert
hatte, stand derselbe ohne Hilfe vom Jsolierschemel auf und ging zu unserer
Freude ziemlich sicher ungefähr sechs Schritte bis zu seiner Großmutter,
welche ihn freudig bewegt in ihre Arme schloß. Von nun ab wurde an dem
einen Tage gepackt und gebadet, am andern elektrisiert. Nachts trug Patienb
stets Leib- und Wadenpackungen. Am 19. Dezember, also am 39. Tage der
Behandlung, kam der Knabe mit seinen zwei Geschwistern zu Fuß von seiner
Wohnung (Ronneburger Str.) in meine Anstalt (Bahnhof-Str.), ungefähr
25 Minuten Wegs, in die elektrische Behandlung. Zu Weihnachten war er
soweit hergestellt, daß er sich seine Festgeschenke, welche ihm seine Angehörigen
versprochen hatten, selber holen konnte. Vom 2. Januar 1889 an hat Emil
Knorr die Schule wieder besuchen können."
Aus der medizinischen Wissenschaft.
In No. 13 (1889) von Prof. Reclam^s „Gesundheit" (Redakteur: Dr. I. Ruff in Karls
bad) findet sich unter Besprechung neuer Schriften Folgendes: