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Auf ähnliche Weise versucht mau die Eiweißabsonderung der Nieren oder
einer erkrankten Schleimhaut zu beschränken, in der Idee, genannten Organen
hierdurch eine festere Conststenz zu verleihen.
Was bedeutet nun in Wirklichkeit das Auftreten von Eiweiß im Urin
bei einer Nierenentzündung? Doch nichts anderes, als daß der Organismus
Substanzen, die er zu seinem Aufbau nicht verwenden kann, wieder ausscheidet,
und somit ist das Auftreten von Eiweiß als der beginnende Heilvorgang zu
betrachten. Der Arzt, welcher in der geschilderten Weise die Eiweißabsonderung
der Nieren zu beschränken sucht, unterdrückt somit den Heiltrieb der Natur
und macht höchstens den Lohgerbern Concurrenz. Soviel über die sonst übli
chen Heilmethoden.
Auch die Naturheilmethode hat an sich keine sogenannten specifischen
Mittel zur Bekämpfung der Nierenentzündung mit den Erscheinungen der Wasser
sucht; aber die Physiologie gibt uns die besten Anhaltspunkte.
Die Haut steht in einer Wechselbeziehung zu den Nieren.
Im Sommer, wo die Schweißabsonderung bedeutend ist, ist die Harn-
absonderung beschränkt und umgekehrt. — Wir werden daher in Verwertung
dieser Thatsache durch Packungen und Dampfbäder einzuwirken haben. Selbst
redend ist der Kräftezustand in jedem einzelnen Fall zu berücksichtigen und
muß bei geschwächter Lebenskraft diese selbst durch geeignete Diät zunächst ge
hoben werden. Neben den schweißtreibenden Mitteln des physiatrischen Arznei
schatzes gibt es auch harntreibende.
Als solche empfehlen sich Kreuzpackungen.
Vor den in der herrschenden Schule gebräuchlichen Arzneimitteln haben
die naturgemäßen Heilkräfte den Vorzug, daß keine Nebenwirkungen eintreten
und die Verdauungsorgane in Ruhe gelassen werden.
Eine streng vegetarische Trockendiät auch mit Verbot der Eier und gänz
licher Vermeidung der sogenannten Stärkungsmittel (d. h. sämtlicher Weine,
Brühen re.) ist erforderlich. MA jW
Im übrigen ist noch auf sonstige Besonderheiten des einzelnen Falles —
wie gleichzeitig bestehende Blutarmut, Nervosität rc. — Rücksicht zu nehmen
und' hiernach auch zuweilen das Kurverfahren zu ändern.
Vor allen Dingen ist aber hier der Beweis geliefert, daß auch die
Schwangerschaft an sich in der angedeuteten Behandlung nichts ändert, und
erweist sich die Empfehlung einer so gefährlichen Operation wie der Einleitung
der künstlichen Frühgeburt bei Nierenwassersucht — wie dies noch immer auf
den Hochschulen Seitens der Autoritäten gelehrt wird — als eine Irrlehre.
Die herrschende Sckule steht der Bright'schen Nierenkrankheit noch macht
loser gegenüber als der Lungenschwindsucht. Wenn es möglich war, in einem
so hoffnungslosen Fall wie dem vorliegenden in kurzer Zeit eine gänzliche Hei
lung zu erzielen, um wie viel mehr ist dies in weniger vorgeschrittenen Fällen
zu erwarten.
Ausdrücklich möchte ich aber noch darauf aufmerksam machen, daß
jeder Krankheitsfall an sich seine Besonderheiten darbietet. Deshalb möchte ich
davor warnen, das von mir geschilderte Verfahren in Krankheitsfällen schablonen
mäßig anzuwenden.
Um die größtmöglichen Erfolge mittels des Naturheilverfahrens zu er
zielen, bedarf es naturwissenschaftlichen Denkens, um im gegebenen Moment
das Beste auszuwählen.
Auf ein Heilverfahren aber, wie das phystatrische, das im Stande ist,
mit einfachen und milden Mitteln, ja teilweise mit Umgehung lebensgefährlicher
Operationen, völlige Heilungen zu erzielen, paßt mit Recht der römische Wahl