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Ich will hier ganz kurz einen derartigen Fall aus meiner Praxis erzählen.
Ein Weber war in der Nacht um 3 Uhr von dumpfen Schmerzen in der linken
Brustseite, von Athemnoth und einem leichten Frösteln befallen, erwacht, und da
sich die beiden ersten Symptome allmälig steigerten, das Frösteln aber in Hitze
überging, so wurde ich des Morgens gerufen und traf etwa um 9 Uhr ein. Der
mir auf einem Taschentuch gezeigte Auswurf war bräunlich-roth, die Körpertempe
ratur etwas über 39° C., der puls machte gegen 100 Schläge. Auch die perku
torischen und auskultatorischen Zeichen ließen ganz deutlich eine ziemlich heftige Ent
zündung (Pneumonie) erkennen. Da das Fieber noch nicht eine sehr bedeutende
höhe erreicht hatte und der Fall noch ganz frisch war, auch die Vorkehrungen zu
einem halbbade schwer zu beschaffen waren, so begnügte ich mich mit einer einfachen
Cinwicklung des ganzen Körpers in ein in 20° Wasser getauchtes Leintuch, welches
ich, da die Hitze nicht so übermäßig war, nicht einmal zu wechseln brauchte. Nach
einer solchen Einpackung, natürlich in wollener Decke und gut mit Betten zugedeckt,
von etwa einer Stunde Dauer wurde Patient mit einem feuchten, in 20° Wasser
getauchten Laken abgerieben und dann mit einem trockenen bedeckt ins Bett ge
bracht. Patient fühlte sich unendlich erleichtert und auch die objektiven Symptome
zeigten eine bedeutende Besserung. Gegen Abend wurde die Prozedur wiederholt
und eine ähnliche für den andern Morgen angeordnet. Da aber der Patient sich
nach der zweiten Einpackung ganz frei und leicht gefühlt, auch fast die ganze
Nacht ruhig geschlafen hatte, so hielt er sich für gesund und vernachlässigte die
Anordnung. Als ich etwa um 10 Uhr erschien, fand ich ihn außer dem Bette.
Cr behauptete, gar keine Beschwerden mehr zu empfinden. Da es Winter war,
warnte ich ihn, sslch in Acht zu nehmen, aber er, als fleißiger Arbeiter, schlug
meinen Rath in den wind und ließ die am Rahmen zum Trocknen aufgehängten
aber gefrornen Tuche in sein Zimmer bringen und beschäftigte sich mit dem Zu
sammenlegen derselben. Doch bald mußte er aufhören, denn alle früheren bedroh
lichen Symptome stellten sich rasch nach einander wieder ein. Als ich eiligst
gerufen wurde, fand ich den Zustand schlimmer als bei meinem ersten Erscheinen,
aber auch diesmal verschwanden die Krankheitserscheinungen nach einigen Ein
packungen und der Patient wagte es, trotz meines Verbotes, am fünften Tage
nach dem Auftreten des ersten Anfalls, allerdings an einem schönen, ruhigen
Wintertage auszugehen, ohne daß er irgend eine üble Folge davon verspürt hätte.
Ich könnte noch viele dergleichen Fälle anführen, aber ich würde meine Leser nur
ermüden.
Ich erlaube mir hieran nur noch die Frage zu knüpfen, oli es nicht mög
lich gewesen wirre, ans diese Weise das theure Leben des dahingegangenen
Prinzen ZU retten. Wir lesen, daß die Sektion gemacht ist, aber wir haben
keinen Sektionsbericht bekommen, können daher auch nicht beurtheilen, ob die
Lungenentzündung nicht Folge einer andern deletären Krankheit war. Ich habe Gelegen
heit gehabt, den Prinzen mehrere Male auf dem Bahnhof zu sehen, aber ich habe
durchaus kein Symptom irgend einer derartigen Krankheit an ihm bemerkt. Wie
es heißt, soll er bei der Rückkehr von einem Ball in einer kalten Nacht sich die
Krankheit zugezogen haben. Gewiß sind sehr bald tüchtige Aerzte, ja Autoritäten