Volltext: Der Naturarzt 1888 (1888)

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Ich will hier ganz kurz einen derartigen Fall aus meiner Praxis erzählen. 
Ein Weber war in der Nacht um 3 Uhr von dumpfen Schmerzen in der linken 
Brustseite, von Athemnoth und einem leichten Frösteln befallen, erwacht, und da 
sich die beiden ersten Symptome allmälig steigerten, das Frösteln aber in Hitze 
überging, so wurde ich des Morgens gerufen und traf etwa um 9 Uhr ein. Der 
mir auf einem Taschentuch gezeigte Auswurf war bräunlich-roth, die Körpertempe 
ratur etwas über 39° C., der puls machte gegen 100 Schläge. Auch die perku 
torischen und auskultatorischen Zeichen ließen ganz deutlich eine ziemlich heftige Ent 
zündung (Pneumonie) erkennen. Da das Fieber noch nicht eine sehr bedeutende 
höhe erreicht hatte und der Fall noch ganz frisch war, auch die Vorkehrungen zu 
einem halbbade schwer zu beschaffen waren, so begnügte ich mich mit einer einfachen 
Cinwicklung des ganzen Körpers in ein in 20° Wasser getauchtes Leintuch, welches 
ich, da die Hitze nicht so übermäßig war, nicht einmal zu wechseln brauchte. Nach 
einer solchen Einpackung, natürlich in wollener Decke und gut mit Betten zugedeckt, 
von etwa einer Stunde Dauer wurde Patient mit einem feuchten, in 20° Wasser 
getauchten Laken abgerieben und dann mit einem trockenen bedeckt ins Bett ge 
bracht. Patient fühlte sich unendlich erleichtert und auch die objektiven Symptome 
zeigten eine bedeutende Besserung. Gegen Abend wurde die Prozedur wiederholt 
und eine ähnliche für den andern Morgen angeordnet. Da aber der Patient sich 
nach der zweiten Einpackung ganz frei und leicht gefühlt, auch fast die ganze 
Nacht ruhig geschlafen hatte, so hielt er sich für gesund und vernachlässigte die 
Anordnung. Als ich etwa um 10 Uhr erschien, fand ich ihn außer dem Bette. 
Cr behauptete, gar keine Beschwerden mehr zu empfinden. Da es Winter war, 
warnte ich ihn, sslch in Acht zu nehmen, aber er, als fleißiger Arbeiter, schlug 
meinen Rath in den wind und ließ die am Rahmen zum Trocknen aufgehängten 
aber gefrornen Tuche in sein Zimmer bringen und beschäftigte sich mit dem Zu 
sammenlegen derselben. Doch bald mußte er aufhören, denn alle früheren bedroh 
lichen Symptome stellten sich rasch nach einander wieder ein. Als ich eiligst 
gerufen wurde, fand ich den Zustand schlimmer als bei meinem ersten Erscheinen, 
aber auch diesmal verschwanden die Krankheitserscheinungen nach einigen Ein 
packungen und der Patient wagte es, trotz meines Verbotes, am fünften Tage 
nach dem Auftreten des ersten Anfalls, allerdings an einem schönen, ruhigen 
Wintertage auszugehen, ohne daß er irgend eine üble Folge davon verspürt hätte. 
Ich könnte noch viele dergleichen Fälle anführen, aber ich würde meine Leser nur 
ermüden. 
Ich erlaube mir hieran nur noch die Frage zu knüpfen, oli es nicht mög 
lich gewesen wirre, ans diese Weise das theure Leben des dahingegangenen 
Prinzen ZU retten. Wir lesen, daß die Sektion gemacht ist, aber wir haben 
keinen Sektionsbericht bekommen, können daher auch nicht beurtheilen, ob die 
Lungenentzündung nicht Folge einer andern deletären Krankheit war. Ich habe Gelegen 
heit gehabt, den Prinzen mehrere Male auf dem Bahnhof zu sehen, aber ich habe 
durchaus kein Symptom irgend einer derartigen Krankheit an ihm bemerkt. Wie 
es heißt, soll er bei der Rückkehr von einem Ball in einer kalten Nacht sich die 
Krankheit zugezogen haben. Gewiß sind sehr bald tüchtige Aerzte, ja Autoritäten
	        
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