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mehr Siechthum als Genesung erlangt haben. — Alle Gebiete der Heilkunde
waren, was die Krankheitsarten angeht, vertreten; auch Falle aus der Chirurgie
und Frauenheilkunde fehlten nicht, bei denen durch die bekannten Mittel der Natur-
heilmethode eine Operation unnöthig gemacht wurde.
Aus der Fülle des Materials will ich nur zwei Fälle anführen.
1. Herr Ü. aus L. kam in einem sehr schwerkranken Zustande in die Anstalt
gefahren; nach vorhergegangenem starken, wiederholt eingetretenem Blutharnen war
Harnverhaltung eingetreten und im Anschlüsse daran Uraemie (Vlutverharnung,
vergl. „Naturarzt" Nr. II v. I.). Der Patient war sehr matt und benommen, dunstete
unangenehm aus, hatte einen dumpfen Kopf nach einem vorangegangenen Dhn-
machtsanfall.
Die Blase enthielt absolut keinen Harn (wie ich mich durch Katheteristren
überzeugte), und doch wurde, neben heftigem Schmerz an der Blasengegend, starker
Harndrang empfunden. Die Nierengegend erwies sich als schmerzfrei.
Cs handelte sich jedenfalls um eine parenchymatöse Nierenblutung (Blutung
in die Nierensubstanz), als deren Ursache Genuß einiger Gläser kalten Bieres,
warmen Grogs und anderer Alcoholica in schnellem Durcheinander zu kon-
statiren war.
Der Patient erhielt ein 27 0 beginnendes, 10 Minuten langes, zum Schluffe
auf 2Z0 fallendes Sitzbad — ohne Erfolg. Wasserlassen mußte aber erzwungen
werden! Nachdem ein zweistündiger 24" zweifacher Leibumschlag mit 25° Waden
fußpackung verbunden, nichts geändert hatte, kam eine 27" auf 20" sinkende Sitz
brause an die Reihe — wieder vergeblich! Nun war die Gefahr schwerer urä
mischer Erscheinungen so nahe, daß ich mich zu einem heroischen Mittel wandte:
Patient kam in eine Rumpfbadewanne und wurde unter Wafferleitungsdruck, 27"
auf 20" fallend — am Damm und der Nierengegend gedoucht, worauf etwa 1 / 10
Liter blutigen Harns entleert wurde. Ueber Nacht wurde wieder ein Leibumschlag
mit Wadenfußpackung, wie oben erwähnt, angelegt. Am nächsten Morgen fand
ich im Stechbecken eine sehr ergiebige Urinentleerung vor, deren obere Schicht nor
malen Harn, deren untere Blutgerinsel und Blutfarbstoff enthielt. Ganzpackungen,
tägliche Sitzbäder und passende Diät brachten den Patienten so herauf, daß er
nach vierwöchentlicher Kur als gesund entlassen werden konnte.
2. Herr W. aus K. hatte ein Ueberbein (Exostose) am Griffelfortsatz der
Speiche (Processus styloideus radii) an der Stelle etwa, wo man gewöhnlich
den puls fühlt. Durch Druck mit einem Hartgummiknopf behufs Heilung (??)
hatte sich eine gänseeigroße, pralle, fluktuirende, schmerzhafte Geschwulst gebildet,
die operirt werden sollte, was, wegen der Nähe der großen Gefäße, nicht unge
fährlich war.
Durch Anwendung von 4—6 je 10 Minuten dauernden, täglich zweimal auf
gelegten Dampfkompressen, ging die Geschwulst am dritten Tage von selbst aus,
unter Erguß einer blutig-eitrigen, gallertartigen Masse. Die Wunde schloß sich
durch Anwendung feuchter Wärme — wobei auf die Wunde stets nur chemisch-
reine Bruns'sche nasse Verbandwatte gelegt wurde — in kurzer Zeit. Der zuerst