Volltext: Der Naturarzt 1888 (1888)

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für einen Werth für den Menschen hat, der wird daraus ermessen können, 
wie namenlos unglücklich Zeder sich fühlen muß, der unter solchen Zuständen 
zu leiden hat. wie dann somit schon indirekt das Gemüth des Nervenkranken 
in Mitleidenschaft gezogen wird, so kann es aber auch unter dem direkten Ein 
flüsse des geschwächten Nervensystems stehen, dergestalt, daß der charakterfeste 
Mann zum charakterlosen, der energische, willenskräftige Mann zum schwachen, 
willenlosen Mann herabsinkt, der fortwährend in seinen Gesinnungen schwankend, 
zu keinem definitiven Entschlüsse mehr zu bringen ist. 
Das Merkwürdige bei allen Erscheinungen der allgemeinen Nerven 
schwäche besteht darin, daß nicht selten der Kranke äußerlich vollkommen gesund 
und von blühendem Aussehen sein, und somit leicht den verdacht auf eine nur 
eingebildete Krankheit oder gar auf Verstellung erwecken kann. 
Mitunter bemächtigt sich des Kranken eine eigenthümliche Angst und Furcht 
vor Gefahren, welche plötzlich über ihn hereinbrechen könnten. Der an sich 
muthigste Mann kann davon in einer Weise befallen werden, worüber er sich 
keine Erklärung zu geben vermag; alles Ankämpfen seines festen Willens da 
gegen hilft ihm nichts oder macht das Uebel nur noch schlimmer. Ze nach den 
verschiedenen Anlässen, welche diese Furcht wachrufen, hat man dieselbe ver 
schieden bezeichnet, obgleich sie jedenfalls aus ein und derselben Ursache hervor 
geht. Line besonders auffällige Form bildet die Angst, welche der Kranke vor 
dem Jassiren von Straßen und Plätzen, einsam gelegenen Wegen empfindet, 
und die man deshalb mit dem Namen Platzangst (Agoraphobie) bezeichnet hat. 
So klagt der Line, daß er unterwegs auf der Straße, namentlich, wenn diese 
recht glatt, und wenn Heller Sonnenschein ist, ferner unter vielen Leuten, von 
einer eigenthümlichen Angst überfallen wurde, als ob er einen Ohnmachtsanfall 
erleiden und nach Hause geschafft werden müßte, während er auf unebenem, 
rauhem Weg, bei trübem Wetter von dieser Angst verschont bleibt. Lin An 
derer hat wiederum dieses Angstgefühl weniger beim Begehen von Straßen 
und Plätzen, als vielmehr beim verweilen an ein und demselben Orte, es mag 
dies nun in einem Nestaurant, oder in der Kirche, oder im Theater oder sonst wo 
sein; dieses Angstgefühl steigert sich in dem Grade, als er mehr und mehr sich 
von anderen Leuten beobachtet glaubt. Solche Angstanfälle treten plötzlich oder 
aber auch erst nach gewissen Vorboten ein, zu welchen besonders gewisse 
Empfindungen in der Magengegend, Uebelsein, Lingenommensein und Schwere 
des Kopfes, Gefühl der Unsicherheit in den Beinen, abwechselndes, sich über 
den ganzen Körper ausbreitendes Loitze- und Kältegefühl gehören u. s. w. Ein 
Dritter endlich muß sich hüten, bei grellem Sonnenschein quer über ein großes 
Stück Feld zu schreiten, wenn er nicht unterwegs von einer plötzlichen Furcht, 
als müßte er von einem Blitze erschlagen, oder von einem Schlagflusse ge 
troffen werden, aufgehalten und zur Umkehr gezwungen werden will. Sonder 
barer Weise pflegen nicht selten solche Anfälle auszubleiben, sobald der Patient 
vorher ein Glas oder mehrere Gläser Wein oder Bier getrunken hat. 
Ein ferneres Kennzeichen der allgemeinen Nervenschwäche bilden nur 
immer kurze Zeit währende Schmerzen der mannigfaltigsten Art, welche an 
ganz verschiedenen Körperstellen auftreten können, vorwiegend aber am Nücken 
und am Rückgrat sich zu zeigen pflegen. Die Folge von diesen schmerzhaften
	        
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