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Rat und Hilft bei plötzlichen Erkrankungen und UnglnckslSllcn.
Vom Herausgeber- < (Fortsetzung.)
Ich werde Ihnen täglich früh ein Halbbad von 24° K. geben mit etwas küh
lerem sanftem Überguß; dann vormittags wende ich für Sie geeignete gymnastische
Übungen an, gegen Abend folgt ein Sitzbad von 20° und vorhergehender Kopf-
waschung mit 16° Wasser; anfangs auch täglich ein kühles Lavement; eine Än
derung dieser Behandlung erfolgt je nach den auftretenden Erscheinungen." „Das
lasse ich mir gefallen, da rücke ich gleich morgen bei Ihnen ein, denn einen vier
wöchentlichen Urlaub zu einer Kur habe ich schon seit ein paar Wochen, habe
aber noch keinen Gebrauch davon gemacht. weil ich unentschieden war, wohin ich
gehen soll," sagte darauf derBeamteund seine Frau fügte hinzu: „Gott sei Dank!
wer hätte das gedacht, als wir heute Mittag von Hause weggingen, daß Du heule
noch zu einem Entschluß kämest!" Und am andern Tage, dem 6. Juni, rückte
in der That Herr W. als Kurgast in Brunnthal ein und bekam abends noch
ein Halbbad, welches ihm eine ruhige Nacht verschaffte. Die Kurkost war da
mals noch keine vegetarische, aber gut zur Hälfte, denn früh gab es ungekochte
süße Milch und Semmeln, mittags eine magere Fleischbrühsuppe. Braten und
Beilage, Mehlspeise und Kompot und abends wieder süße oder saure Milch
mit Semmeln oder Hausbrot (Grahambrot noch unbekannt), also eine so
ziemlich frugale Kost, an der sich niemand den Magen verderben konnte.
Wie mein Kurbuch von damals bekundet, gings dem Patienten, dem ich
nicht L 1a Dr. Peczely aus den Augen ablesen konnte, was ihm noch be
vorstand, an dem auch mein Anstaltsmediziner (den mir die Regierung zur
Überwachung gegeben), nichts Abnormes entdecken konnte, wohl aber die Diagnose
stellte: Schroth-Gleich'scher Hungertyphus, vom 7. bis 16. abwechselnd gut und
weniger gut, das heißt: einen Tag war er frei von Kopfweh, deshalb heiter
und mitteilend, eine Nacht hatte er weniger geschlafen, dann war er am Tage
teilnahmlos und verschlossen; den nächsten ganzen Sonntag war seine Familie
zum Besuche da, worüber er sich freute, mit der er sich auch besser unterhielt,
so daß die Frau die beste Hoffnung faßte, ihren Brummbär von Mann wie
der hübsch artig werden zu sehen; abends begleitete er seine Familie ein Stück
Weges im englischen Garten; was geschah nun weiter? Am 17., morgens,
kam mein Badediener eilends zu mir ins Zimmer gelaufen und berichtete:
„Herr W- ist nicht auf seinem Zimmer, das Bett ist leer, er wird doch nicht
nach der Isar gelaufen sein, ich will doch mal mit dem Hausknecht dahin
laufen." Ich aber begab mich ins Nebengebäude nach seinem Zimmer im ersten
Stock und bemerkte gleich beim Eintreten. daß an dem Fensterkreuz ein zu
sammengedrehtes Leintuch befestigt war; ich ging daher aufs offene Fenster
zu. sah hinaus und was sah ich ? Unten in dem Garten lag mein halbangekleideter
Patient auf dem Rücken und hatte ein Leintuch in den Händen; ich eilte rasch
zu ihm hinunter und fand ihn bewußtlos, sah ans Fenster hinauf und erklärte
mir die Situation folgendermaßen: das in Händen habende Betttuch hatte er
an das am Fensterkreuz befestigte gebunden und sich nun zum Fenster hinaus ge
schwungen und am Betttuche herunter gelassen; da das zweite aber vom ersten
losging, so war er mit demselben circa 3 Meter hoch heruntergestürzt. aber
glücklicherweise auf Gebüsch gefallen, weshalb er ohne äußere Verletzung davon
kam. Ich ließ ihn vorläuffg liegen, um sofort nach meinem Wärter zu suchen,
welcher aber gerade von der Jsarbrücke zurückkehrte und mir berichtete, daß er
keine Spur vom Patienten entdeckt habe; ich sagte demselben nun, was ich ent
deckt habe und daß er mir helfen solle, den Mann in die Badestube zu schaffen.