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„Die Pflanze ist ein Magazin von Sonneukraft, die sich in ihren
Teilen während ihrer Entwickelung gesammelt hat und diese in den N ä h r -
stoffen der Tiere und Menschen aufgespeicherte Kraft kommt im
Tierleben wieder zur Äußerung und es sind ihre mannigfaltigen Wirkungen,
welche alle Erscheinungen des tierischen Lebens in sich einschließen und bedingen.
Wie es nun gekommen, daß der Mensch von dieser seiner paradiesischen
also Normal-Ernährung im Laufe der Zeit abgesprungen ist,
gehört nicht hierher, doch kann ich nicht umhin, aus dem Alten Testament
Daniel Kap. 1, Vers 3—20 eine klassische Urkunde zu zitiren, nach welcher
der Mensch zu Nebukadnezars Zeiten ca. 600 vor Christus nur von
P f l a n z e n k o st und Wasser noch ganz prächtig leben und gedeihen konnte,
so daß, wie dort zu lesen, die 4 Essäerknaben vom Könige nach 3 Jahren
rein vegetarischer Lebensweise schöner und besser bei Leibe und
viel klüger und gescheiter befunden wurden, als die übrigen Knaben,
welche während dieser Zeit von seinem gemischten Tische aßen und von
seinem Weine tranken, ja zehnmal klüger und verständiger, denn alle
Sternsehcr und Weisen in feinem ganzen Reiche!
Die von Voit angeführten organischen pflanzlichen und tierischen
Substanzen bilden nächst Wasser. Luft und einigen Mineralien heutigen Tages
das Ernähruugsmaterial vieler Millionen Menschen; es unterliegt nun aber
gar keinem Zweifel. ist vielmehr ausgemachte Thatsache, daß diese tierischeu
Substanzen lediglich ihren Ursprung den pflanzlichen verdanken,
welche von Pflanzenfressern konsumirt worden sind, denen wir diese tierischen
Substanzen entnehmen. Ob nun diese pflanzlichen Substanzen bei ihrer Ver
wandlung in den tierischen Leib von den in ihnen aufbewahrten Spannkräften
nicht einen guten Teil eingebüßt haben und aus diesem Grund
schon die tierischen organischen Substanzen den pflanzlichen im Ernährungs
werte n a ch st e h e n müssen — wäre meine erste Frage; die zweite —
ob diese tierischen Substanzen in bezug auf ihre Reinheit und physiolo
gische Wirkung auf den Menschenkörper dieselbe Sicherheit und Ge
fahrlosigkeit gewähren, wie die uns von der Natur gebotenen pflanzlichen
Substanzen? Und die dritte — ob nicht gerade durch den K o ch p r o z e ß
auch eine gewisse Menge von Spannkräften verloren gehen? Im Jahr
gang 1871 habe ich darüber ein langes und breites vorgebracht und erwähne
hier nur kurz: bekannt ist, daß Raubtiere selten ihresgleichen verzehren,
immer lieber Pflanzenfresser anfallen, weil ihr Fleisch immer noch besser
und mehr Spannkräfte enthält, als jenes; in Nr. 8 und 9 habe ich unter
„Vermischtes" bez. der Reinheit und Sicherheit der Fleischnahrung einige Vor
fälle neuester Zeit beigebracht, die einem die Haut schaudern machen, und daß
durch den Kochprozeß bestimmt Spannkräfte verloren gehen, dafür spricht
das, was Prof. Saumei von seinem Zögling Kaspar Hauser erzählt,
der bis zu seinem 4. Jahre nur mit Wasser und Brot aufgezogen
wurde und dabei eine Thätigkeit des Geistes, ein Gedächtnis entwickelte und
eine Schärfe seiner sämtlichen Sinne zeigte, die jedermann in Er
st au n e n setzten; nachdem er aber einige Monate hindurch die gewöhnliche,
gemischte Kost bekommen, die er nur nach und nach und mit Widerwillen
nahm, so zeigte sich die bedauerlichste Änderung in bezug auf Geist und Ge
müt, wie die Schürfe seiner Sinne; ja er stellte sich nur zu bald als ein
ganz gewöhnliches Individuum dar! Also futsch gingen die
Spannkräfte mit der gemischten gekochten K o st! Was lernen wir
daraus? — Normalnahrung! —