Volltext: Der Naturarzt 1886 (1886)

ich einen jungen Mann auf dem Sofa liegend bemerkte, der sich bei meinem 
Eintritt sofort erhob und mit zwei Stöcken mir entgegen hinkte. Ich ließ ihn 
wieder aufs Sofa sich legen und mir feine Erkrankung erzählen, welche unge 
fähr lautete: Ich gehöre zu den Kadetten, welche Weihnachten vor. Jahres 
eines mittags Klöße bekamen, worauf 17 meiner Kameraden sich bald er 
brechen mußten, ich aber nicht, dafür stellten sich andern Tages bei 
nur starke Krämpfe ein, bei meinen Kameraden aber nicht; nach ein paar 
Tagen, als cs nicht besser mit mir wurde, nahm meine Mutter mich zu sich 
und ließ unsern Hausarzt kommen, der dann noch den Geh. Rat vr. N. zu 
Hilfe zog welche beide Herren mich seither behandelt haben auf — Kupfer- 
oxydvergiftung. Inzwischen war die Frau Gräfin in den Salon ge 
treten. ergänzte das Vorstehende noch mit einigen Worten und frug mich dann: 
ob ich glaube, ihren Sohn wieder herstellen zu können, da er jetzt schon über 
12 Wochen durch diese seltene Erkrankung seinem Unterrichte entzogen worden 
sei? Daraufhin bat ich. eine manuelle Untersuchung vornehmen zu dürfen, 
um zu erfahren, wie es mit seiner motorischen Kraft überhaupt stehe (denn 
ich habe es noch nicht so weit gebracht, daß ich a 1a vr. Peczely den 
Patienten in den Augen oder ä la Kühne im Gesichte abgucken kann, 
was ihnen fehlt und wie es ihnen gehen wird! Ich ließ nun den für sein 
Alter (15 Jahre) sehr großen und muskulös gut entwickelten Pat. sich auf's 
Sofa flach hinlegen, untersuchte seinen Unterleib, den ich etwas aufgetrieben 
und gespannt fand, so daß ich mit den Fingern nicht unter die falschen Rippen 
(auch nicht bei angezogenen Knien) gelangen konnte; ließ ihn dann ein ge 
strecktes Bein nach dem andern erheben und beim Niederdrücken Widerstand 
leisten, was nicht gut ging, dieselbe Bewegung mit beiden Beinen exekutirt, 
ging noch weniger gut; eine Beugung und Streckung beider Beine im Hüft- 
und Kniegelenk mit Widerstand ging so leidlich, aber auf die Füße gestellt, 
versagten sie total den Dien st, indem dieselbe Bewegung (bekannt 
unter dem Namen Knixung) nicht ausführbar war, ebenso wenig das 
aufrechte Gehen ohne Stöcke. Und das ist also die Folge von ca. 6 un 
koscheren Klößen, die nicht wieder wie beiden 17 anderen Kadetten aus 
dem Munde zum Vorschein kamen oder vielleicht der gegen die Krämpfe allo 
pathisch eingeleiteten Behandlung mit Bromkali und Elektrizität bei guter 
gemischter Kost? Die Muskulatur der oberen Extremitäten ließ nichts zu 
wünschen übrig, Pat. wußte auch sonst nichts Besonderes zu klagen, außer daß 
er nicht allein gehen konnte, was aber erst nach und nach so gekommen 
sei, weshalb ein Verwandter immer dringender sie aufgefordert habe, doch mal 
eine andere Behandlungsweise vorzunehmen und dabei mich vorgeschlagen habe 
(also nicht die beiden Arzte waren es, wie der Diener in seiner Einfalt ge 
meint). Meine Ansicht über diesen seltenen Vergiftungsfall sprach ich nun 
dahin aus, daß von einer Kupferoxydvergiftung jetzt wohl nicht mehr die 
Rede sein könne, sondern nur von einer lähmungsartigen Schwächung (Paresis) 
einiger motorischer Nerven, welche ich durch gelinde Wasser- und gymnastische 
Behandlung in Verbindung mit reizloser Diät wieder bessern zu können die 
vollste Überzeugung hege, wenn Pat. hübsch folgsam zu sein mir versprechen 
wolle, was derselbe hoch und heilig versicherte. Auf die nunmehrige Frage 
der Frau Gräfin, wie lange es wohl dauern werde, bis ihr armer Sohn» 
der auf so unschuldige Weise um ein ganzes Vierteljahr seinem Unterrichte 
entzogen worden sei, zu demselben wieder zurückkehren könne, antwortete ich: 
man möge mir mindestens so viele Tage Zeit lassen, als die 2 approbirten 
Herren vor mir Woche n gebraucht haben, ohne mehr zu erzielen, als den
	        
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