Volltext: Der Naturarzt 1885 (1885)

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Die Wollkleidung als Gesundheitsschutz. 
Von Dr. uieä. A ß m a n n. (Schluß.) 
Ob nun auf dem direkten Wege der Stauung, oder auf dem Umwege der reflektorischen Nerven 
wirkung in solchen Organen, welche durch vorhergegangene häufige Attraktionen ihrer normalen 
Beschaffenheit in einem chronischen Reizzustande, wenn auch scheinbar schlummernd, sich befinden, 
Erscheinungen der Blutüberfüllung, Schwellung durch Austritt von Blutwasser in die Gewebe, 
Auswanderung von weißen Blutkörperchen aus den Kapillaren, kurzum Entzündungen in ihren 
verschiedenen Modifikationen entstehen, das ist für jetzt ein noch ungelöstes Rätsel. 
Doch liegt das außer allem Zweifel, daß mit der Energie des Reizes auch die Gefahr wächst, 
so daß der Bekleidungsstoff, welcher die schnellste und stärkste „Verdunstungskälte" auf die Haut 
wirken läßt, wie Leinen, auch zweifellos die meiste Gefahr mit sich bringt. Weshalb sind 
wir denn gewöhnt, nach Erhitzung des Körpers und energischer Schweißbildung auf demselben 
uns ängstlich vor „Zug" zu schützen, indem wir den Rock zuknöpfen oder den Überzieher an 
ziehen? „Zug" ist bewegte Luft und bewegte Luft führt den durch Verdunstung von der 
Körperoberfläche an die angrenzende Luftschicht abgegebenen Wasserdampf schnell fort, dadurch 
wieder neue trocknere Luftmengen an die Haut heranbringend. Wie die Wäsche unserer Haus 
frauen bei windigem Weiter schneller trocknet, als bei ruhigem, so auch unsere Haut und die 
sie umgebenden durchfeuchteten Bekleidungsgegenstttnde. Durch Beschleunigung der Verdunstung 
wird die Bindung von Wärme vermehrt, das Kältegefühl und die Kältewirkung für unsere 
Haut und deren Nerven-Endigungen erhöht und die Gefahr der „Erkältung" vergrößert. 
Wir schließen den Rock, nicht um uns vor der an sich vielleicht sehr warmen Luft zu schützen, 
sondern um die Verdunstung von unserer Körperoberflttche zu verlangsamen, dadurch uns aber 
gewissermaßen mit einer bleibenden feuchten Luftschicht zu umgeben, welche nur langsam Wärme 
bindet. Dasselbe erreichen wir aber durch eine Bekleidung mit Wolle: die langsame Ver 
dunstung aus der Wolle läßt eine schnelle Herabsetzung der Hauttemperatur durch latente Wärme 
nicht zu, so daß man in einer nassen Wollkteidung durchaus nicht die kältende Wirkung be 
wegter Luft empfindet, selbst wenn man sich dem vollen „Zuge" unvorsichtig aussetzt. Die 
weitere Konsequenz aus dieser Eigenschaft der Wolle ist aber, daß jemand, der in Wolle 
gekleidet ist, viel weniger dichte und zahlreiche Kleider anzuziehen nötig hat, als 
der in Holzfaser gekleidete. Die einfache Wollkteidung vertritt vermöge ihres geringen Wärme 
leitungsvermögens und ihrer langsamen Verdunstungsfähigkeit die Stelle von mehrfachen über 
einander gezogenen Bekleidungsgegenständen vollkommen. Kleidungsstücke, welche schnell und 
gut Wärme leiten, wie Leinwand und Baumwolle, müssen natürlich der äußeren Lufttemperatur 
in bezug auf ihre Dichte und ihre Anzahl ängstlich angepaßt werden. In einem leinenen 
Turnanzuge würde man schwerlich im Sommer bei 30" Wärme und im Winter bei 20 0 Kälte 
sich gleich behaglich fühlen; daß man im Sommer in solchem sich wohl fühlt, liegt daran, 
daß unsere Körpertemperatur, welche gegen 37 ^ C. beträgt, meist noch etwas höher ist, als 
die höchsten Schattentemperaturen der Luft; die Wärmeleitung ist daher fast immer eine nur 
geringe. Wollkleidung dagegen verringert für den mit ihr bekleideten Körper die 
Leitungsvorgänge der Wärme überhaupt in hohem Maße, daher ist es ein nur auf gröbster 
Unkenntnis beruhender Vorwurf, wenn man der Wollkleidung nachsagt, sie verweich 
liche den Körper; sie konservirt nur in erhöhtem Maße die dem Körper zu seinem Wohl 
befinden zuträglichste Blutwärme, indem sie ihn vor starker Vermehrung von außen 
im Sommer und vollen Sonnenschein, vor starkem Verluste durch energische Aus 
dünstung und Wärmebindung, eben so durch die niederen Lufttemperaturen des Winters bewahrt. 
Ein mit Wolle Bekleideter wird daher unter allen Umständen leichter gekleidet gehen 
können, als ein mit Holzfaser Bekleideter und wird für seinen Körper denselben Wärmeeffekt 
haben; wesentlich befördert wird dieser Effekt durch die der Theorie vollkonnnen entsprechende 
Vorschrift, die Wollkleidung überall geschlossen, den Rock stets, auch 
im Sommer, zugeknöpft zu tragen. 
Eine weitere gesundheitsbefördernde Eigenschaft der Wolle ist ihre Rauheit. Durch die 
selbe wird auf der Haut eine gelinde, nur in den ersten Tagen unangenehm fühlbare Reibung 
erzeugt, welche ihrerseits wieder eine geringe Erweiterung der Haut-Kapillargefäße und danach 
stärkere Durchblutung der Haut selb st zur Folge hat. Die stärkere Blutfüllung 
der Haut kann dem mit Wolle Bekleideten niemals gefährlich werden, wie es nach dem 
oben Erörterten erscheinen möchte, da eben die Wolle als schlechter Wärmeleiter jede ener 
gisch e A b k ü h l u n g zurückhält. Wohl aber ist sie von großem gesundheitlichen Werte, 
indem durch dieselbe vermöge des großen Gesamtinhaltes aller Haut-Blutgefäße eine sehr be 
trächtliche Menge Blut den inneren Organen entzogen wird. Hierdurch wird aber 
dem Herzen zweifellos die Arbeit erleichtert, Stauungen in inneren Organen werden ver 
mieden, eine durch Körperanstrengungen oder sonstige Ursachen bewirkte plötzliche Steigerung 
des Blutdrucks wird ein breites und weites Strombett zum Abfluß und zur Ausgleichung in
	        
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