56
Es war Ostersonntag - Morgen und vom Thurme der nahen Stadlkirche
ertönte der Posaunenchoral; ich gab der Pat. jetzt selbst ein Glas frisches
Wasser zu trinken, später ließ ich ihr Milchkaffee mit eingeweichtem Wecken
geben, im Laufe des Vormittags ein großes laues Klystier, worauf kopiösc
Öffnung erfolgte, später ein kleines kaltes, dazwischen hinein öfter einen Schluck
frischen Wassers, wobei sich der Mund immer öffnete, sobald man nur mit
dem Löffel an die Zähne stieß; mittags bekam Pat. einen Teller dicke Reis-
suppe, welche ihr sichtbar schmeckte, denn der Mund öffnete sich nach jedem
Schlucke ganz automatisch wieder. Nachmittags 4 Uhr brachte ich Pat. wieder
in die feuchte Einpackung, worin sie bei geöffneten Fenstern, guter Bedeckung
und öfterm Genuß eines Schluckes frischen Wassers in Zeit von 3 Stunden
bis zum seinen Schweiß im Gesichte kam (trotz fleißigen Wechsels kalter Kopf-
kompressen von der dritten Stunde an) und dann wieder 20—18° gehalbbadct
wurde; es wiederholten sich nun dieselben Prozeduren des Abtrockncns. der
Wiedererwärmung, der Ernährung mittelst dicker Suppe und etwas Kompot,
später kaltes Lavement, der Erholung bis 11 Uhr, wo wieder eine dreiviertel-,
sog. feuchte Packung mit Ausschluß der Arme stattfand; ich ging wieder erst
gegen 12 Uhr fort und hinterließ der inzwischen angenommenen Schwester,
welche die Nachtwache besorgte, die gemessene Ordre, ja recht aufzupassen, wenn
Pat. unruhig werden sollte und dann die Kopfumschläge fleißig zu wechseln,
auch noch ein Kissen unter den Kopf zu schieben, um selbigen dann höher zu
legen und den Nackenumschlag zu appliziren. ^Schluß folgt.)
Schreiben an die Redaktion
von Adolf Graf Jedtwitz de;, des Vornfchen Artikels in v. Nr.
mit Erwiderung der Redaktion.
(Fortsetzung von Dr. Petris Diphtherie-Definition.) (Schluß.)
Die wirkliche, so sehr gefürchtete und gefährliche Diphtherie der Mandeln,
welche in ihren Anfangsstadien kaum von diesem unschuldigen Herpes zu unterscheiden, verdankt
ihre Entstehung ebenfalls einem Pilze, und zwar einem Spaltpilze, welcher, um mich
allgemein verständlich auszudrücken, seinen Wohnsitz auf faulem oder in Verwesung begriffenem
Fleische, also krepirten Mäusen re. gehabt, von diesem durch einen Luftzug aufgescheucht sich
auf Kleider, Hände, Steine, Messer rc. niederlassen, ür eine Wunde gelangen, oder aber in der
Luft schwebend durch Einatmen auf die zerklüfteten, rissigen Mandeln kommen, gerade lute der
unschuldige Schimmelpilz, und nun die gefährliche Diphtherie erzeugen kann. Möglich
auch, daß dieser Pilz mit dem W asser, in welches eine tote mit ihm behaftete Maus gelangt
ist, in den Körper des Menschen seinen Einzug hält; man sorge daher für guten Verschluß
seines Brunnens. Unter ganz gleichen Erscheinungen wie bei dem unschuldigen Herpes,
erkrankt der Mensch, doch anstatt am 2. oder 3. Tage einen Fieber a b f a l l zu zeigen, steigt
das Fieber und der Mensch wird kränker und kränker; dieser Pilz durchwuchert, durchsetzt die
ganze Schleimhaut, geht weiter 'in den Rachen, auf. den Kehlkopf, die Luftröhren über und
erzeugt den höchst gefährlichen diphtherischen K r o u p , brandige Bräune, füllt die
Drüsen des Halses an, so daß unterhalb des Kieferwinkels dicke, unförmliche, schmerzhafte, nicht
selten zur Eiterung kommende Driisenpakete entstehen; er vergiftet das Blut und hat
in sehr vielen Fällen den Tod zur Folge. Häufig gesellt er sich zu Scharla ch , aber auch
zu Masern, und hat auch hier sehr häufig den Tod zur Folge.
Da wir beim Austreten des weißen Belages auf den Mandeln nicht sofort wissen
können, ob der unschuldige Herpes oder der gefährliche diphtherische Pilz den Körper ver
giftet hat, so ist kein Fall leicht zu nehmen; nochmals betone ich aber, daß die
wahre Diphtherie bei uns (Detmold) selten ist und mir oft jahrelang nicht zur Beobachtung
kommt. Welche Heilmittel bei dieser Diphtherie anzuwenden sind, muß ein Arzt bestimmen;
seine Mandeln kann man aber abhärten durch fleißiges Gurgeln mit kaltem Wasser, und
wer zu Rachenkatarrh neigt, oftmals Beschwerden beim Schlucken, geröteten Rachen hat,