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bedeutend; am Sonnabend erklärte der hiesige Allopath den Fall für
sehr bedenklich, das Kind wurde schon tot gesagt; am Sonntag —
Freude. das Scharlach war heraus; am Montag ging es schlechter,
Dienstag ein bischen besser. Mittwoch recht schlecht: Der Doktor gab
dem Kinde noch bis Mitternacht, höchstens noch bis zum Morgen — Lebens
frist! Herr D. berichtet von der furchtbaren Nacht, die sie mit dem Kinde
durchgemacht. Meine Frau gab meinen Gedanken Ausdruck: „Sollen wir D.s
nicht unsere Hilfe anbieten? Wenn wir ihnen auch keine Hoffnung mehr
machen können — so wird es wenigstens eine Beruhigung für Kind und
Eltern sein." Ich fragte darauf D., „ob er die allopathische Behandlung a n f-
gebe und ob wir ihm dienen könnten?" Er bat darum; sofort haben
meine Frau und ich das Kind entsprechend behandelt — und wie viel Lebens
geister waren noch darin, welche schöne Ruhe trat ein! Die Eltern waren
auch beruhigt und schöpften selbst Hoffnung. Die Nacht verlief auch ruhiger;
doch war, als ich am Freitag früh ins Krankenzimmer trat, das Kind matter,
die Diphtherie vorgeschritten, es gi-g dem Ende entgegen, es wurde noch
gebadet und so ist es in der nächsten Nacht ruhig eingeschlafen! Ich
bin überzeugt. — wenn S i c die Behandlung übernommen hätten in diesen
beiden letzten Tagen, das Kind wäre durchgekommen; so viel Lebens
kraft war noch da! Eine Frau, die den Mittwoch mit D. durchgewacht und
das Kind am Donnerstag nach dem Baden wied r sah. sagte uns: Sie haben
eine Wunderkur gemacht! Aber ich konnte und durfte nicht eine zu eingreifende
Behandlung einleiten, ich habe nicht die nötige Autorität! D.s Beide waren
sehr erfreut selbst über dieses Resultat und sind sehr dankbar; der Doktor
aber war böse!!
Am Freitag früh war das 12 jährige Töchterchen am Scharlach erkrankt
und am Nachmittag erschien der Doktor mit dem Kreisphysikns (der vom Land
rat geschickt war wegen des Schullokals, das sich bei der Lehrerwohnung be
findet) , sie erklärten den Fall für sehr günstig verlaufend; der Kreisphysikns
schärfte aber dem Lehrer noch ganz besonders ein. daß er den ärztlichen An
ordnungen ja folgen sollte. Obgleich D. keine Lust mehr zu dieser Art der
Behandlung hatte und mich gern weiter um Hilfe gebeten hätte, weil ihm die
Augen ei» wenig aufgegangen waren, so meinte er doch, nicht gut anders zu
können und da der Fall so gut zu verlausen schien, so hatte das ja auch
kein Bedenken; aber am Sonntag früh 7 Uhr — verschied auch
dieses 2. Kind!! Mit einem mal war die Geschichte typhös geworden
— am Sonnabend war der Fall noch ein leichter! Welch glänzender Erfolg!
Und angesichts d eser blamirenden Vorgänge hat dieser junge Herr Doktor
den Mut! — mich beim Konsistorium zu verklagen!! nicht einmal
wegen falscher Behandlung, sondern nur. weil ich hinter seinem Rücken
und ohne seine Erlaubnis gebadet! Er selbst hat D. erklärt, wenn
er, der Vater, es gewünscht hätte, so würde er auch gebadet haben und zwar —
geradeso wie wir! Und dieser edle Herr droht sogar, mich das n ä ch st e
Mal als Kurpfuscher anzuzeigen! Ich wünschte, er thäte es gleich
diesmal, dieser Fall scheint mir nämlich sehr günstig zu liegen. Glücklicher
weise haben wir doch jetzt neue Gesetze, die uns ein bischen von der allo
pathischen Kurpsuscherherrschaft erlöst haben! Aber ich sehe, daß ich
mich diesem neuen Doktor gegenüber waffncn muß und möchte bei Ihnen den
Gedanken anregen, ob nicht eine Abhandlung über die rechtliche Seite
von einem Juristen in Ihrem Blatte angezeigt wäre? Wir werden noch
manchen Kampf zu bestehen haben, ehe wir zur vollen Freiheit gelangen! Har