Volltext: Der Naturarzt 1885 (1885)

159 
ihm zu dotirende Abstelle nebst Signalementrecept vergeblich aus sch rieb, so wenig 
scheint ihm ein Licht darüber aufzugehen, daß sich auf geistigem Gebiet eine auf den Mann 
dressirte Arbeitnehmerschaft nicht aus der Erde stampfen laßt! Ebenfalls wie seine Haus 
schuhe, so auch die von ihm „engagirten S ch ü tz l i n g e" wechselnd, arbeitet in der Metropole 
der Intelligenz ein früherer sächsischer Großindustrieller in n a tur ä rz t li ch e m M ä c e n a 1 e n- 
tum! Selbstverständlich werden wir es nie vergessen, daß den Laienärzten das Ver 
dienst gebührt, der arzneilosen oder N a t ur h e i l m e t h o d e Eingang verschafft zu 
haben, auch daß dieselben die größte Mehrzahl wahrer Naturärzte bilden" — so lautet eine 
Probe aus dem von einem approbirten Mediziner, mit dem nicht ungewöhnlichen Namen 
Schulze redigirten Monatsblatte „Der Volksarzt", das Leiborgan des Dissidententums, 
welches aber vornehm zu mißachten seine Bedeutung unterschätzen hieße! Für den mit der 
Sache von Anfang an Vertrauten gestaltet sich das Lesen jenes Blattes allerdings weniger 
schrecklich als langweilig deshalb, weils mit wenig Witz und viel Behagen den Sing-Sang 
von der Verderblichkeit der Medizinkunst und der Allheilkönnerschaft der Naturttrzte oder wie 
sich bei näherer Prüfung deutlich ergiebt, der Kaltwasser-Panscher in's Unendliche 
wiederholt! Geht man dabei in's Einzelne, so gelangt man zu folgenden ergötzlichen Ergeb 
nissen: dieselben Krakehler, welche die ärztlichen Rezepte an den Pranger kleben, be 
gehen mit ihren Halb-, Ganz-, Dreiviertelpackungen, ihrem auf 15, 17V 3 f 20 2 /3 Grad abge 
schreckten Wasser ihrerseits und in anderer Form, eitel Quacksalberei! Zwar nur 
vom Hörensagen bekannt, aber sicher verbürgt (?) ist ferner die Thatsache, daß ein 
jüngst verstorbener „Meister" dieser Richtung sowohl am eigenen Leibe als an seinen 
Patienten im Verordnen von Morphium arbeitete, weil man, wie er vertraulich lehrte, 
ganz ohne solche Mittel nicht auskomme! Mit Rücksicht darauf, daß die 
l a i e n ä r z t l i ch e n Koryphäen von ihrem unkundigen Anhange als förmliche 
Heilige gefeiert werden, scheints mir nicht müßig, hier mit wenigen Strichen noch das 
wahre Bild des S ch u tz p a t r o n s mit dem Wahlspruche „Wasser thuts freilich!" zu zeichnen, 
nämlich des 1847 verstorbenen Franke oder wie er sich als Schriftsteller nannte, Rauhe, 
über dessen Lebenslauf aus der Feder seines wärmsten Freundes und mannhaftesten Nachfol 
gers ausführliche Enthüllungen vorliegen. Gegen ihn, den eigentlichen „Reformator der Wasser 
heilkunde" muß selbst der göttliche Bauer Prieszmtz als bloßer Begründer in den Schat 
ten zurücktreten! Redete ihm doch dieser sein Lehrling nach, daß infolge seiner verkehrten 
Praktiken von 1200 Kranken höchstens 100 den Gräfenberg passabel kurirt ver 
ließen ! An Geist und Bildung seinem Lehrmeister offenbar überlegen, neigte 
Rauße doch zu sehr zur Nnstetigkeit, um ein zusammenhängendes „System" zu Stande 
zu bringen oder sich auch nur dauernd an einer Anstalt festzusetzen, sondern artete einfach zum 
Klassiker jener Hetz- und S chm äh s chreib er ei aus. Obgleich er als Student einge 
standenermaßen ein „Rauf - und Sauft eben" so toller Art führte, daß er überall rele- 
girt wurde und obgleich er nachher in den Wäldern von Nordamerika eine aufreibende Thätig 
keit nebst Fieberanfällen überstehen konnte, blieb er dabei, daß er das sich nunmehr erst ent 
wickelnde Unterleibs leid en einer im 9. Lebensjahre durchgemachten Medizinkur ver 
danke, fand aber andererseits nichts dabei, „oft", wie sein Vertrauter Th. Hahn wörtlich 
schreibt, „ungemein viel zu essen und seinem Magen mehr als ratsam zuzutrauen"! Noch in 
seiner Todesstunde erging er sich in Verwünschungen über seine Mutter, welche damals die 
Vergiftung seines Magens verschuldete und ihm den Todeskeim beigebracht habe, wogegen 
sich bei der Leichenöffnung das Mageninnere als ganz gesund heraus stellte: Kurz 
und gut: diese R a u ß estche Lebensgeschichte liest sich allenfalls wie ein Patientenroman, 
beileibe nicht aber als das Musterbild eines auf der Menschheit Höhe wandelnden 
„Gesundheitslehrers". „Fortzeugend Böses gebären" mußte die böse That dadurch, daß ihr 
Beispiel immer neue, aber keineswegs bessere Flugschriften und Schimpfblütter zutage förderte, 
deren Urheber in Ermanglung geistiger Selbständigkeit von der einmal eingeführten Tonart 
nicht los kamen! Gern sei ihnen hiermit das kindliche Vergniigen gelassen; es muß eben auch 
solche Käuze geben! 
Da, wie mir nicht entgeht, die von der hygienischen Richtung vertretene Kranken 
behandlung von oberflächlichen Lesern und Hörern gern mit diesem unechten Natur- 
ar zttum in einen Topf geworfen wird, so verfehle ich nicht, schließlich den himmelweiten 
Unterschied des grundsätzlichen Bekenntnisses klarzulegen: während laienärztliche Heilenkön 
ne r e i die heilbedürftige Menschheit im Imperativ, inr „Du s o l l st - T o n e" ihrer Heil- 
lehre zu unterjochen trachtet, blickt der Hygieniker mit einem Auge in die längst entschwundene 
Zeit zurück, welche ein Cato also pries: „Fuisse sine medicis, non tarnen sine medicma“. 
Mit dem andern Auge sieht er allerdings nach, in wie weit sich sein Wissen bei dermaugem 
Kulturnotstand für Krankenbehandlung verwerten lasse, jedoch nicht ohne den Feuchtersle 
ben stchen Leitgedanken fest zu halten: Der sicherste Weg, das Leben zu verlängern, befielst 
darin, es nicht aus eigener Schuld abzukürzen! Von diesem Standpunkt nun erkennen, daß 
die Gesellschaft mehr den Mitteln zum Leben nachjagt, um dieses selbst durch Gesundhell^ww-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.