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bei der Operation sich Tuberkeln gezeigt und sie deshalb, wie mir schien,
rasch entlassen worden war; es zeigte sich nun bei dem anhaltenden Fieber,
daß sie immer mehr abnahm und fast zum Skelett wurde; nebenbei hatte sich
unterhalb des Nabels, neben der Operationswunde, die gut vernarbt war, ein
Blütchen gebildet, welches infolge Applikation von Leinenumschlägen auf
ging und sich nun ein förmlicher Kanal bildete zur Abführung von Eiterungen,
und ist dann noch durch eine 2. und 3. Öffnung der Eiter literweise von
ihr fortgegangen. Bon einem noch hinzugerufenen zweiten Arzte wurde sie eben
falls für verloren aufgegeben; doch verlor ich die Hoffnung nicht, da ich
auf ihre kräftige Natur vertraute! Endlich versiegten die Eiterungen und
auch das Fieber ließ allmählich nach, so daß sie im Juli und August 1881,
durch Gartenluft gestärkt, wieder Appetit bekam und daun auch nach und nach
ihre frühere vollkommene Körperfülle wieder erlangte; nur die Regeln stell
ten sich nicht wieder ein, und bemerkten meine zwei Ärzte, daß das nichts
zu sagen habe, indem sich dieselben schon von selbst wieder einfinden würden.
Dies ist auch geschehen, aber so unbedeutend, daß sie fast gar nicht zu
rechnen sind. Nun hat sich aber seit zirka 10 Wochen eine erst kleinere, dann
allmählich größer werdende Verhärtung auf der linken Bauchhälfte, der
selben, wo die Eiterungen stattgefunden, eingestellt, welche der Hausarzt als
Heilungsprozeß des Stranges der Eiterdrüsen erklärt! Das Übel hat
sich nun aber so vergrößert und die Schmerzen haben so zugenommen, daß
meine Frau fast den ganzen Tag im Bette zubringen muß, weil sie dann am
wenigsten -schmerzen verspürt; sie ist auch geistig deprimirt, weil der Gedanke
sie quält, wieder von neuem von einem solchen Leiden befallen zu sein! Nun
konstatirt der Hausarzt wieder eine G e s ch w u l st, zuckt mit den Achseln, wie
damals bei dem lange dauernden Fieber und ist — ratlos! Da ich Ver
trauen zu Ihrer Heilmethode habe, frage ich hiermit ergebenst an, ob im vor
liegenden Falle nicht durch Bäder und Ausschwitzungen eine Linderung zu er
zielen wäre und sehe Ihrer geneigten Zuschrift recht bald entgegen. R. W.
Meine Antwort am 1. Dezember lautete: Bringen Sie Ihre Patientin
getrost nach Dresden ins Rcsidcnzbad, wo ich ein Zimmer für dieselbe parat
halten werde; Sie können vom Bahnhof gleich mit ihr dahin fahren; was sich
mit ihr machen läßt, soll sicher geschehen!
Bei meinem Besuche am 6. Dezember traf ich das Ehepaar bereits im
Rcsidenzbad an und Patientin, ausgangs der 20er Jahre, von kleiner, graziler
Figur, präsentirte sich mir als ziemlich abgemagert und in äußerst deprimirter
Stimmung; die Geschwulst fand ich auf der linken Bauchhälfte in dem Um
fang eines Gänseeies, ziemlich hart anzufühlen und bei Druck schmerzhaft, von
rötlich brauner Farbe, etwas Fieber war vorhanden; nachdem ich mit der
Patientin nochmals alles durchgesprochen, was oben aus dem Briefe berichtet,
sprach ich ihr ernstlich Mut ein, persuadirle sie, einige Wochen hier zu bleiben,
weil Momente vorkommen dürften, wo sie meines Zuspruches wie meiner Hilfe
dringend bedürfte; ich sagte ihr ferner, daß ich darauf hinarbeiten werde, die
Geschwulst je eher je lieber zum spontanen Aufbruch zu bringen, d. h.
ohne das Messer zu Hilfe zu nehmen, was Sinfoniemusik in ihren Ohren
war und wofür sie mich mit einem dankbaren Blicke anschaute und mir entgcg-
nete: „Ich habe mich schon darauf gefaßt gemacht, einige Zeit hier zu bleiben
und deshalb das nötige mitgenommen, fasse auch wieder frischen Mut, denn
ich lese in Ihren Augen, daß Sie mich noch nicht aufgeben, wie die Achsel
zucker zu Hause, indem Sie gewiß schon ähnliche Fälle in Behandlung gehabt!"
Meine Worte lauteten: .Also Sie bleiben da und sind in Ihrem eigenen