Volltext: Der Naturarzt 1883 (1883)

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Meine Berufung nach Ziidrußlanl» 
zur Bekämpfung einer Typhusepidemie, nebst Andeutungen 
iiber die hierbei zur Zeit üblichen Naturheilmethoden. 
Vom Herausgeber. 
Am 12. Dezember vor. Jahres erhielt ich nachstehendes Telegramm: 
Slawjansk— Dresden, Eosenweg 63. 
Welches Honorar verlangen Sie für einen Monat bei freier Eeise und 
Beköstigung ? Sind Sie einverstanden zu kommen ? Zahlungsbedingungen 
— Geld — wird Draht Dresden deponirt. S d. 
Da mir der Name des Absenders (wohl indirekter Postabonnent des N.-A.), 
ganz und gar unbekannt (wenigstens konnte ich mich nicht auf ihn besinnen, 
soviel ich meinen Gedächtnis-Magazinisten auch darum befrug, um dadurch 
vielleicht den Grund der Berufung mutmaßen zu können), so legte ich das 
Telegramm selbigen Tages vorläufig ad acta und nach einer fast schlaflosen 
Nacht, in der ich mir die Sache hin und her überlegte und die Erfindung der 
Telegraphie nebenbei zum Teufel wünschte (so viel Störung und Unruhe haben 
mir derartige Depeschen schon seit Jahren verursacht), kam ich zu dem festen 
Entschluß, unbedingt die Reise abzulehnen, da ich erstens Nr. 12 nebst litt. 
Beil. VI. gerade in Arbeit und zweitens einige Personen von auswärts und 
in Dresden selbst welche in Behandlung hatte, welchen ich nicht nur so davon 
laufen konnte, vollends auf volle vier Wochen, und drittens, weil mir ein 
Blick auf die Karte sagte, daß ich nach Slawjansk eine weite, weite Fahrt 
ohne Unterbrechung vor mir habe und zwar zur Winterzeit und auf Bahnen, 
welche wohl nicht wie die sächsischen den nötigen Komfort für Reisende kneten 
dürften, so daß ich sehr wahrscheinlich in starken Konflikt mit meiner gegen 
wärtig wieder sehr artigen tibia kommen würde, und, am Reiseziel angelangt, 
vielleicht meinen Mann dann nicht gleich so st eilen könnte, wie erforderlich 
und weshalb man mich doch kommen läßt! * Denn daß meine Berufung 
* Anmerkung. Auch könnte ich nicht in 8 Tagen schon genügend russisch mir 
im bekannten Sprachkollegium von M u t h in Dresden einpauken lassen, da nach General 
arzt Dr. Roths Erfahrungen auf seiner Reise durch Rußland im vor. Sommer die Kenntnis 
der russischen Sprache unbedingt notwendig sei, um mit Erfolg reisen zu können, 
welcher Umstand mir dann umsomehr Bedenken machte, als ich aus dem Briefe den Zweck 
meiner Berufung erfahren. Wohl konnte ich mir aber andererseits wieder sagen, daß Herr S. 
gewiß auch annehmen mußte, daß ich schwerlich zur Zeit russisch verstände, aber nach seiner 
Erfahrung mit Hilfe seines Routenzettels doch richtig nach Slawjansk kommen konnte, 
wie ja viele jährlich nach Amerika über England, Schottland reisen, ohne ein Wort eng 
lisch zu verstehen, und am Ziele angekommen, mußte derselbe, oder sonst jemand auf seine 
Veranlassung über Tag und Nacht deit Dolmetscher machen bei den 100 und mehr Patienten 
und dem Wärterperjonal, wie auch bei den Ärzten und ihrem Anhange, bei welchen der 
fremde Mann als Konkurrent wohl schwerlich gleich eine freundliche Gesinnung erwarten 
dürfte, da sie dann im Spital ja nichts mehr zu sagen hatten, sondern ihn unbedingt 
schalten und walten lassen mußten! Wie es in solchem Falle aber zu gehen pflegt, davon 
habe ich vor einigen Jahren einen Vorgeschmack bekommen, als mich ein Fabrikant 
in der Nähe Dresdens für eine kleine Anzahl Typhuskranker unter seinen Arbeitern 
kommen ließ, wovon einige vom ordinireuden Mediziner bereits als verloren erklärt 
worden waren, weshalb eben dieser waffer- und menschenfreundliche Fabrikherr sich an mich 
wandte. Als der Arzt dies erfahren, blieb er gleich weg, aber auch die bei den Kranken 
bereits in Thätigkeit befindlichen Diakonissinnen zogen auf dessen Befehl sofort ab, weit 
sie sich von einem unapprobirten sogenannten Kurpfuscher nichts zu sagen lassen 
brauchten ! Hier wußte ich mir aber nun zu helfen, leitete mir selbst gleich ein paar Leute zur 
Abwartung an, griff anfangs übera ll selbst zu beim Packen und Baden und brachte 
zum großen Ärger des Herrn Doktor med. d i e von ihm als verloren erklärten, 
noch in der Nacht sterben werdenden wie die andern Patienten (Männer, Weiber
	        
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