Volltext: Der Naturarzt 1883 (1883)

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in solchen frischen, wenn auch allöopathisch schon ein wenig ver- 
u n z t e n Fällen — denn was soll und kann Chinin im Gehirn bei 
einer traumatischen Verletzung desselben gutes bewirken? — wahrhaft 
wunderbar bewährt! 
Ich nahm den schlank gebauten Jungen also zur Kur an, verordnete vor 
allem eine reizlose Diät und Ruhe in leiblicher wie geistiger Beziehung, ließ 
ihm früh zu Hause feuchte Ganzpackung geben als beruhigendes und vom ver 
letzten Organ ableitendes Mittel bis zur guten Erwärmung mit nasser Ab 
reibung darauf und kurzer Promenade im Freien unter Begleitung einer Person, 
dann vormittags zu Hause sich ruhig verhalten, öfters den Kopf zum Fenster 
hinausstecken und ruhig abwarten, bis gegen 11 Uhr gewöhnlich die Krämpfe 
erstmals auftraten, wobei nichts zu thun, als feuchtkalte Kompressen um den Kopf 
und in den Nacken machen mit Erneuerung, wenn dieselben ziemlich warm geworden. 
Ich erklärte den über die Heftigkeit und lange Dauer derselben erschrockenen 
und besorgten Eltern, daß dieselben im vorliegenden Falle durch keine Heil 
methode sofort zum Verschwinden gebracht werden könnten, da die 
selben ja ganz naturgemäß durch die infolge des, wenn auch gemilderten Falles 
entstandene Gehirnsubstanzverletzung bedingt würden. Da nun die sogenannten 
Gewebstrümmer des verletzten Hirnteiles nidjt sofort entfernt werden können, 
wie man etwa auf einer Kommode den Staub abwischt, sondern nur all 
mählich durch die Lymphgefäße aufgesaugt und fortgeführt würden, so könne 
man auch nicht anders erwarreu, als daß diese entsetzlichen Krämpfe erst mit 
der Entfernung dieser nun als Fremd stoffe reizender Gewebstrümmer 
nur allmählich sich verlieren! Und so war es auch, — fünf Tage lang kamen 
sie täglich ein paarmal noch mit derselben Heftigkeit und in derselben Dauer, 
ja ein paarmal währten sie noch länger, dann setzten sie ein paar Tage aus, 
kamen wieder, so daß der Vater in seiner Besorgnis zu mir kam und die Be 
fürchtung aussprach, der Sohn könnte wohl den Verstand vertieren; er müsse 
auch von seinem Bureau zuhause bteiben, da seine Frau und Schwägerin den 
Sohn allein nicht mehr halten könnten, weshalb er mich fragen wolle, ob ich 
keine Anstalt wüßte, wo man solche Kranke unterbringen könne. Ich ver 
tröstete den Herrn auf einige Tage, immer wieder die Überzeugung aussprechend, 
daß seinem Sohne sicher geholfen würde, wenn alle meine Anordnungen pünkt 
lich befolgt würden, aber Zeit müsse man der Natur lassen, um die Ü r s a ch e 
der Krämpfe, wie ich ihm schon einmal erklärt, zu beseitigen, hernach hören 
sie von selbst auf. Dieses Resultat wurde in nicht ganz 3 Wochen erreicht, 
denn noch vor Weihnachten konnte Patient allein ohne Begleitung ausgehen, 
ohne Besorgnis eines kommenden Anfalles und das Christfest als Genesener 
feiern, ein doppeltes Christfest für ihn und seine Eltern. Am 2. Januar ließ 
ich ihn die Schule wieder besuchen und gab ihm ein Attest mit, worin ich 
noch darauf aufmerksam machte, den Rekonvaleszenten noch einige Zeit mit 
häuslichen Ausgaben zu schonen und beim Turnen von Gerätübungen zu dis- 
pensircn, wohl aber mit Freiübungen zu regaliren. Ab und zu klagte der 
Patient anfangs auch über Bru st schmerzen, welche sich aber bald ver 
loren, dagegen beim Schulbesuch sich wieder einstellten, welches Symptom jedoch 
untergeordneter Natur ist. Ferner bemerke noch, daß mir der Vater bei 
seinenr ersten Besuche auch erzählte, daß er mit dem Hrn. Kons.-Rth. vr. D. 
gesprochen wegen der an Ostern stattfindenden Konfirmation, an der sein Sohn 
wohl nicht teilnehmen könne, worauf ich ihm gleich erwiderte: das habe gute 
Wege, denn bis dorthin werde sein Sohn längst geheilt sein!
	        
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