Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

Ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich gerade die Zunahme von 
Erkrankungen und Todesfällen oben genannter Art mit der vielfachen Ver 
wendung von Salicylsäure in heutiger Zeit bei Lebensmitteln und 
geistigen Getränken in Verbindung bringe. Daß diese Säure nach der 
hier angegebenen Richtung wirkt, daß sie eine Tendenz zeigt, die serösen 
Häute der Gelenke und des Herzbeutels anzugreifen, eine fieber 
hafte Blutbewegung und sauer riechenden Schweiß hervorzurufen, alles Er 
scheinungen, worauf andrerseits auch ihre angeblichen antirheumatischen Heil 
wirkungen zurückzuführen sind, das beweisen ihre nach stärkeren Gaben ein 
tretenden „toxischen" d. h. vergiftenden Wirkungen. 
Nun ist es eine ausnahmslose Erscheinung bei allen Giften, von den 
schärfsten „der Blausäure, dem Strychnin, Nikotin an bis zu den 
schwächsten, dem Th8in und Kaffetn ?c." daß sie durch Verkleine 
rung der Gaben resp. Verdünnung anscheinend unschädlich werden, 
d. h. daß schädliche Wirkungen momentan nicht hervortreten. Es giebt für 
jedes Gift einen solchen Verdiinnungsgrad, z. B. für die Blausäure in einem 
Aprikosen- oder Zwetschkenkern, oder in einer bittern Mandel. 
Vom Alkohol, dem einst als „Lebenswasser" (agua vitae) gepriesenen, 
hat Professor D o n d e r s in Utrecht die durch den Genuß kleinster Quanti 
täten allmählich entstehende Hüufungsschädlichkeit wissenschaftlich nachgewiesen. 
Ebenso hat die Pariser Akademie über die im Einzelnen nicht wahrnehmbaren, 
giftigen Wirkungen des Tabaks kürzlich ein im Ganzen vortreffliches Gut 
achten abgegeben. Wenn dieselbe aber in dem Schlußsatz alle die genau prä- 
zifirten schädlichen Wirkungen nur dem „ M i ß b r a u ch " nicht aber dem 
„Gebrauch" des Tabaks zuschreibt, so erblicke ich darin nur eine Kon 
zession an moderne Lebensanschauungen, die vor einer vernünftigen Prüfung 
durchaus nicht haltbar "erscheint. Die Akademie würde in große Verlegenheit 
kommen, sollte sie aufgefordert werden, vom „Mißbrauch" und „Ge 
brauch" des Tabaks eine wissenschaftlich zutreffende Defini 
tion zu geben. 
Leichter ist es, a priori zu einem richtigen Schluß über die Folgewirkungen 
minimaler Dosen von giftigen Substanzen zu gelangen, indem man von der 
wohlbegründeten Ansicht ausgeht. daß uns in der von Natur verliehenen 
Gesundheit und Lebenskraft ein Kapital anvertraut ist, das durch natur 
gemäße Lebensweise am langsam st en, durch jeden, wenn auch 
minimalen Genuß, eines nicht als Nahrungsmittel, sondern als 
Gift wirkenden Stoffes, in schnellerer Weise verbraucht wird! 
Wenn noch zu Vespasians Zeiten die römische Campagna mehr 
140jährige Leute aufwies, als heutzutage ganz Europa incl. Rußland 
100jährige, so muß der Grund dafür im Ganzen und Großen in unserer 
raffinirten Lebensweise mit ihren vielen, zu einer beträchtlichen Ge 
samtwirkung angehäuften, Schädlichkeiten gesucht werden. 
Es ist daher keineswegs gleichgiltig, ob eine neue Schädlichkeit zu den 
vielen bereits bestehenden hinzutritt und die Frage, ob eine solche in dem Zu 
satz kleiner Quantitäten Salicylsäure zu Wein, Bier, eingemachtem 
Obst rc. erblickt werden muß, gewinnt damit eine besondere Bedeutung. Sie 
ist aber leicht und einfach zu beantworten. 
Die „«Salicylsäure" ist kurz und deutsch gesprochen ein „Gift" 
und zwar ein ziemlich scharfes, von welchem eine so kleine Quantität 
wie 10 Gramme, d. i. 1 j i0 eines Pfundes schon eine entschieden giftige 
Wirkung hervorbringt. Wenn von diesem Gift, wie jetzt üblich und von den
	        
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