Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Der „alte Ketzer" führt weiter noch den Ausspruch Naegelis an, daß 
reines Wasser in kurzer Zeit den Untergang der Spaltpilze herbeiführe und 
zieht daraus den von den Anhängern der Naturheilmethode sicherlich mit großer 
Freude begrüßten Schluß: „Die passende Anwendung des kalten Wassers 
müsse das sicherste und unschädlichste Mittel zur Zerstörung und Unschädlich 
machung der Krankheitspilze sein." 
Wie schade, daß sich dieser schöne Gedanke bei näherer Betrachtung als 
Illusion erweist! 
Angenommen, Naegeli hätte Recht — auf welche Weise sollte denn die 
Vernichtung der nicht bloß in Blut- und Säftemasse, sondern auch in den 
Geweben, in Lunge, Leber. Milz, Nieren, selbst in den Nervenscheiden, im 
Gehirn und in den Knochen des erkrankten Organismus schmarotzenden Bak 
terien durch Wasser bewerkstelligt werden? Doch wohl nur dadurch, 
daß in an den Patienten wie ein Stück Zucker imWasser zer 
fließen ließe!! 
Nun ist N.s Angabe aber nicht einmal völlig richtig, denn diese Mikro 
organismen gehen nur dann in reinem Wasser zu Grunde, wenn sie wenigstens 
24 Stunden darin gelegen haben und dies nicht etwa, weil demselben eine 
spezifische, parasitentölende Kraft innewohnt, sondern aus derselben Ursache, 
welche das Absterben einer aus der Erde genommenen und der Sonne aus 
gesetzten Pflanze bewirkt — aus Nahrungsmangel. Auch geschieht dies nur 
bei denjenigen Schizomyzeten, die keinen Samen bilden, also z. B. bei allen 
Arten von Mikrokvkken, bei den Bakterien des blauen Eiters u. s. w., alle 
übrigen sind nicht durch Wasser zu vernichten. Im Reichs 
gesundheitsamte wurden z. B. Sporen von Bacillus anthracis und Bacillus 
subtilis 90 Tage in destillirtem Wasser gehalten und zeigten sich nach dieser 
Zeit noch ebenso keimfähig und insektionskräftig, als ganz 
frische. Es wäre doch für den „alten Ketzer" so leicht gewesen, durch eigene 
Prüfung das wenige Wahre an der Naegelischen Behauptung festzustellen. 
Das einfache Avoptiren einer fremden Meinung, bloß weil sie zu den eigenen 
Anschauungen paßt, ist freilich noch viel leichter. 
Welch' ungeheuere Lebenszähigkeit die Spaltpilze überhaupt besitzen, davon 
haben die Gegner der Bakterientheorie gar keinen Begriff. Die Ansicht, daß 
diese Parasiten im lebenden Organismus durch „Chinin, Karbolsäure, Salicyl 
säure" oder irgend eine andere chemische Substanz getötet werden könnten, 
macht jeden wirklichen Bakterie nkenner lache». Ein kleines Rechenexempel 
möge das Thörichte einer derartigen Voraussetzung demonstriren. 
Die Spirillen des Rückfallfiebers gehören zu den zartesten, empfindlichsten 
Schizomyzeten, die es giebt. Trotzdem sterben sie erst dann ab, wenn man 
500 Gramm von ihnen bevölkertes Blut mit 1 Gramm Chinin vermischt. 
Nimmt man die Gesamtmasse des Blutes eines erwachsenen Rekurrens- 
kranken zu 5000 Gramm an, so müßten also 10 Gramm Chinin darin 
kreisen, um den gewünschten Effekt hervorzubringen. Da nun aber von dem 
durch den Mund eingeführten Chinin nur ein bestimmtes Quantum ins Blut 
übergeht, so wäre zur Erreichung des erforderlichen Wirkungs-Verhältnisses 
eine Dosis von 12—16 Gramm dieses Mittels nötig, die 
aber den sofortigen Tod des Patienten herbeiführen würde. In Wirklich 
keit dürfte indes eine noch viel größere Arznetmenge als hier auf dem Papiere 
zur gänzlichen Vernichtung aller vorhandenen Spirillen gebraucht werden, denn 
dieselben befinden sich ja nicht bloß im Blute, sondern auch in den Geweben 
und Organen (z. B. im Gehirn), 4ind falls auch nur einige wenige ungetötet
	        
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