Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Jur Entgegnung. 
Von Dr. W. Albert Haupt in Chemnitz. 
(Schluß.) 
Was die Behauptung des „alten Ketzers" betrifft, cs sei „bei den ver 
schiedensten Krankbeiten immer der gleiche Zyklus von Formen gefunden" 
worden, so zeigt dies aufs evidenteste, daß er die Bakterien nur vom Hören 
sagen kennt. Jeder, der auch nur ein einziges Mal den das Erysipel ver 
ursachenden , unbeweglichen k u g l i g e n Mikrokokkus, den zu langen, 
dünnen Fäden auswachsenden, sich oft schlangcngleich bewegenden Bazillus des 
malignen Ödems und die äußerst zarten, wie ein Korkzieher ge 
wundenen, zuckenden, schnellenden und sich schraubenartig drehenden Spirillen 
des Rücksallfiebers unterm Mikroskope gesehen hat, wird sich geradezu ver 
wundern, wie bedeutend der Formenunterschied bei diesen kleinsten und ein 
fachsten aller Lebwesen in Wirklichkeit ist. Wohl läßt sich nicht verhehlen, daß 
wir den Nicrococcus vaccinae nicht von dem Micrococcus diphtheriticus zu 
unterscheiden vermögen (von einem „Mikrokokkus der Dysenterie, des Typhus 
und der Cholera" weiß die exakte Pilzforschung bis heule noch nichts!), aber 
das beweist noch lange nicht die völlige Gleichheit dieser Schizomyzeten, sondern 
nur die Unzulänglichkeit unserer optischen Instrumente. Daß diese beiden 
Spaltpilze nicht ein und dasselbe sein können, lehrt das Experiment. Wenn 
wir den erstern verimpfen, erzeugen wir eine Vaccinepustel, und wenn den 
letzter», Diphtherie — also zwei vollständig von einander abweichende Krank 
heitsprozesse. Auch bei Nicrococcus prodigiosus und Micrococcus violaceus 
ergiebt die Untersuchung mit den allerstärksten Vergrößerungen nicht die aller 
geringste morphologische Verschiedenheit und doch muß eine solche existieren, 
denn, überträgt man beide auf ein Stück gekochte Kartoffel, so produzrrt der 
eine ein blutrotes, der andere ein prachtvoll veilchenblaues Pigment. Vielleicht 
gelingt es uns in Zukunft doch noch. auch für die uns jetzt völlig gleich er 
scheinenden Schizomyzeten charakteristische Unterschiede aufzufinden. Sind wir 
doch schon jetzt, seitdem Zeiß seine unübertroffene Öl-Jmmcrsionssysteme her 
gestellt, in den Stand gesetzt, mit absoluter Sicherheit den Bacillus anthracis 
von dem Bacillus subtilis zu unterscheiden, welche beide noch vor ein paar 
Jahren von dem ausgezeichneten Baktericnkenner Cohn als vollkommen identisch 
in der Form beschrieben wurden. 
Wer freilich mit so schlechten Mikroskopen arbeitet oder ein so miserabler 
Mykolog ist, daß er „die gefährlichen Krankheitserreger von den notorisch un 
schädlichen Mikroorganismen' nicht zu unterscheiden vermag, also z. B. das 
harmlose, den Verdauungstrakt bewohnende Bacterium termo (den Erreger 
der Fäulnis) nicht von den bösartigen Bakterien der Sepnkämle, den im Zungen 
beleg vcgetirenden Lepthotrix buccalis nicht von dem Bazillus des malignen 
Ödems und die zuweilen im Zahnschlcim auftretende Spirochaete plicatilis 
nicht von der Spirochaete Obermeieri — der sollte von den so subtilen Baklerien- 
Explorationen überhaupt fern bleiben! 
Von solchen Stümpern rührt auch die Angabe her, daß selbst das Blut 
gesunder Menschen Spaltpilze enthielte. Kein einziger, als tüchtiger 
Mikroskopiker bekannter Forscher hat jemals derartige 
Parasiten darin nachgewiesen! 
Ebensowenig entspricht cs der Wahrheit, wenn es in dem Artikel „zur 
Bakterienjagd" heißt, die pathogenen Schizomyzeten und deren Keime wären 
überall und immer vorhanden. Bacterium terruo findet sich wohl in jeder
	        
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