Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Reiz gewähren und in jedem neuen Lichte jung erscheinen und zu diesen ewig 
jungen alten Gegenständen gehört auch der Boden, auf dem wir stehen und 
wohnen, auf dem wir geboren sind und in dem wir begraben werden. Seit 
dem die Menschheit den Begriff Gesundheit erfaßt hat, wurden der Ört 
lichkeit, die man als wesentlich aus Luft, Wasser und Boden bestehend 
betrachtete, wohl schon immer krank und gesund machende Eigenschaften zu 
geschrieben, man hat aber den Sitz dessen, was krank und gesund macht, mehr 
in der Luft und im Wasser und weniger im Boden des Ortes angenom 
men, so lange man sich nämlich vorstellen konnte, daß ein Ort seine eigene Luft 
und sein eigenes Wasser haben könne, welche wir direkt genießen, indem wir sie 
atmen und trinken, während man vom Boden unabhängiger, auf den man 
nur tritt. Die Luft eines Ortes konnte man in der Gesundheitspflege aber nur so 
lange an erste Stelle setzen, als man nicht wußte, daß die durchschnittliche Ge 
schwindigkeit der Atmosphäre an derErdoberfläche 3 Meter 
in der Sekunde ist, und daß sie selbst in dem Zustande, welchen unser 
Gefühl als völlige Windstille empfindet, noch bis zu */ 2 Meter Weg in der 
Sekunde zurücklegt. Man kann daher von einem eigentlichen S t a g n i r e n der 
Luft selbst in engen Schluchten und Thälern, sowie in den engsten Straßen 
nicht sprechen, dieselbe ist vielmehr in beständigem Ortswechsel 
begriffen und wenn sie an einem Orte Eigenschaften hat oder Stoffe enthält, 
welche an benachbarten Orten sich nicht bemerkbar machen, so können dieselben 
nicht aus ihr stammen, sondern sie müssen von der Örtlichkeit abgeleitet 
werden, aus welcher sie sich der Luft mitteilen, um dann in der freien Atmo 
sphäre durch fortschreitende Verdünnung und andere Vorgänge wieder 
zu verschwinden. Ähnlich wie bei der Luft ist es auch beim Wasser eines 
Örtes. Wenn Luft oder Wasser an einem Orte verdorben sind, so geht 
die Verderbnis nicht von einer Entmischung oder Zersetzung dieser beiden Lebens- 
Elemente ans, sondern vom Orte selbst und sie reinigen sich bald wieder; 
am längstell und zähesten haftet eine Verunreinigung am B o d e n, der keinen 
Ortswechsel hat, wie Luft und Wasser. Wenn man früher für einen Ort den 
hygienischen Wert der Luft an er st er Stelle, den des Wassers an zweiter und 
des Bodens an dritter Stelle setzte, so darf man gegenwärtig die Reihenfolge 
umkehren. Der Einfluß des Bodens auf die Gesundheit der darauf Lebenden 
tritt am deutlichsten beim Herrschen einiger epidemischen Krankheiten hervor. — 
Fragen wir uns nun: Was mag das sein im Boden, was eine so 
mächtige Wirkung auf unsere Gesundheit im guten lind bösen Sinne ausüben 
kann? Auf diese Frage vernimmt man, so weit es sich um Schädigung der 
Gesundheit handelt, von den verschiedensten Seiten gegenwärtig so ziemlich 
die gleiche Antwort, der ich selber auch schon längst gehuldigt habe: — aller 
Wahrscheinlichkeit nach sind es kleinste Organismen oder 
Erzeugnisse derselben, Organismen, wovon viele Millionen von Indivi 
duen z u s a m m e n g e n o m m e n , erst den Umfang des kleinsten Stecknadelkopfes 
oder einen Milligramm Gewicht haben, welche den porösen Boden von seiner 
Oberfläche bis in große Tiefen hinab bewohnen, welche uns schädlich und un 
schädlich und selbst nützlich sein können, gleich wie wir größere schädliche und 
unschädliche und nützliche Tiere und Pflanzen schon längst kennen. Bisher waren 
sie uns unsichtbar und erst die neuere Pflanzen- und Tier-Physiologie und 
Pathologie hat sie durch Mikroskop und Kulturversuche sichtbar gemacht. 
Nägeli nennt einen Boden, welcher Epidemieen hervorruft oder begünstigt, 
sehr bezeichnend einen siechhaften und sein Gegenteil einen siech fr eien. 
Man darf aber nicht glauben, daß nur der erstere Ort Spaltpilze und solche
	        
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