Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Meine Krankheitsgeschichte. 
Bon Theodor Hahn. 
(Forschung.) 
Mitte Oktober ging ich nach Leipzig, dort einige Zeit verschiedene medizi 
nische Kollegien zu besuchen, da durch Rausses am 12. Juli erfolgten Tod 
meine Stellung zu ihm und am Kurhause Alexandersbad plötzlichen Abbruch 
erfahren hatte. Leipzig mit seiner schlechten rauchigen Lust konnte meiner 
überdies lahmen Lunge nicht gut behagen und da ich ohnehin bald erkannte, 
daß an den heutigen Universitäten und auch in Leipzig — trotzdem dort 
Oppolzer und Bock, also 2 Vertreter der sogenannten rationellen oder 
physiologischen Schule dozirten, keine Quellen für das dem Naturarzt notwen 
dige Wissen fließen, so folgte ich nach 4 Monaten immerhin fleißigen Stu 
diums, namentlich privatim außerhalb der Kollegien, einem Rufe nach Schwerin 
in Mecklenburg, dort der Ausübung der naturgemäßen Heilweise Vertretung 
zu leihen. Ich war sicher, und meine damalige Annahme hat mich nachher 
auch nicht getäuscht, daß selbsteigen von mir naturgemäß behandelte Krank 
heitsfälle mir unendlich viel mehr Belehrung und reichere Erfahrung bieten 
würden, als die gehaltlosen Vorträge auf dem Katheder und in der Klinik der 
Leipziger Pryfcssoren. Die einen wie die anderen waren stets reich durchspickt 
und durchquickt mit Quecksilberei und Quacksalberei, daß es mir armen Natur 
gläubigen wie ein Mühlrad im Kopfe herumging, und in der Klinik sah ich 
solcher Oppolzerscher Quacksalberei (s. Naturarzt 1868, Nr. 21) die armen 
Opfer viel dutzendweise fallen, die ich junger Anfänger als Naturarzt mir un 
fehlbar mit ein paar Wicklungen oder Bädern zu retten getraut hätte. So 
zog ich denn also zweite Hälfte Januar 1849 nach Schwerin und fand bald 
Beschäftigung genug. Aber die Praxis eines Naturarztes in einer größeren 
Stadt hat viel Mißliches und bedingt namentlich viele ruhelose Nächte. Vor 
zugsweise sind es ja meist auch akute Krankheitsfälle, die seiner Behandlung 
unterstellt werden, für viele Kranke und deren Angehörige ist die Behandlung 
etwas ganz Neues, Unbekanntes, der Arzt muß viel am Krankenbett verkehren, 
viel Krankenbettenstaub und Krankenzimmerluft schlucken und allen diesen Un 
zukömmlichkeiten war meine schwache Organisation und meine lahme Lunge 
nicht gewachsen; ich erlag schier den sich häufenden Asthmaanfällen, als Herbst 
und Winter anrückten und so folgte ich denn gerne einem Ruse in die Schweiz 
an die damals noch klein angelegte Wasserheilanstalt B u ch e n t h a l bei Uzwyl 
tut Kanton St. Gallen. 
Doch ehe ich dahin abreiste, sollte ich noch einen sehr schweren Krankheits 
fall an mir selber durchmachen. Eine heftige Erkältung, die ich mir kurz vor 
der Abreise Ende Januar 1850 gelegentlich des Verkaufs meines Mobiliars 
zugezogen hatte, warf mich auf ein hitziges Krankenlager. Nachdem ich einen 
ganzen Tag im heftigsten Fieberfroste zugebracht hatte, brach endlich die Hitze 
aus, aber, es kam zu keinem lösenden Schweiße. Die furchtbarsten Schmerzen 
in der Brust trieben mir dagegen während voller 24 Stunden unausgesetzt die 
heftigsten Aufschreie aus, daß die Zimmerwände gellten; sie wurden von einer 
Abmagerung begleitet, so jäh und so mächtig, so daß ich in wenigen Tagen 
um einige 20 Pfund leichter geworden war. Lungenödem stellte sich ein, Tag 
und Nacht lief mir ein scharfes, ätzendes Wasser aus dem Munde und mehr 
und mehr ermattet und atem- und pulslos, wie ich endlich dalag, nahmen 
am Abend des achten Tages meiner Erkrankung meine Angehörigen Abschied 
von mir, mich als vermeintliche Leiche über Nacht liegen lassend und andern
	        
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