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Meine Krankheitsgeschichte.
Bon Theodor Hahn.
(Forschung.)
Mitte Oktober ging ich nach Leipzig, dort einige Zeit verschiedene medizi
nische Kollegien zu besuchen, da durch Rausses am 12. Juli erfolgten Tod
meine Stellung zu ihm und am Kurhause Alexandersbad plötzlichen Abbruch
erfahren hatte. Leipzig mit seiner schlechten rauchigen Lust konnte meiner
überdies lahmen Lunge nicht gut behagen und da ich ohnehin bald erkannte,
daß an den heutigen Universitäten und auch in Leipzig — trotzdem dort
Oppolzer und Bock, also 2 Vertreter der sogenannten rationellen oder
physiologischen Schule dozirten, keine Quellen für das dem Naturarzt notwen
dige Wissen fließen, so folgte ich nach 4 Monaten immerhin fleißigen Stu
diums, namentlich privatim außerhalb der Kollegien, einem Rufe nach Schwerin
in Mecklenburg, dort der Ausübung der naturgemäßen Heilweise Vertretung
zu leihen. Ich war sicher, und meine damalige Annahme hat mich nachher
auch nicht getäuscht, daß selbsteigen von mir naturgemäß behandelte Krank
heitsfälle mir unendlich viel mehr Belehrung und reichere Erfahrung bieten
würden, als die gehaltlosen Vorträge auf dem Katheder und in der Klinik der
Leipziger Pryfcssoren. Die einen wie die anderen waren stets reich durchspickt
und durchquickt mit Quecksilberei und Quacksalberei, daß es mir armen Natur
gläubigen wie ein Mühlrad im Kopfe herumging, und in der Klinik sah ich
solcher Oppolzerscher Quacksalberei (s. Naturarzt 1868, Nr. 21) die armen
Opfer viel dutzendweise fallen, die ich junger Anfänger als Naturarzt mir un
fehlbar mit ein paar Wicklungen oder Bädern zu retten getraut hätte. So
zog ich denn also zweite Hälfte Januar 1849 nach Schwerin und fand bald
Beschäftigung genug. Aber die Praxis eines Naturarztes in einer größeren
Stadt hat viel Mißliches und bedingt namentlich viele ruhelose Nächte. Vor
zugsweise sind es ja meist auch akute Krankheitsfälle, die seiner Behandlung
unterstellt werden, für viele Kranke und deren Angehörige ist die Behandlung
etwas ganz Neues, Unbekanntes, der Arzt muß viel am Krankenbett verkehren,
viel Krankenbettenstaub und Krankenzimmerluft schlucken und allen diesen Un
zukömmlichkeiten war meine schwache Organisation und meine lahme Lunge
nicht gewachsen; ich erlag schier den sich häufenden Asthmaanfällen, als Herbst
und Winter anrückten und so folgte ich denn gerne einem Ruse in die Schweiz
an die damals noch klein angelegte Wasserheilanstalt B u ch e n t h a l bei Uzwyl
tut Kanton St. Gallen.
Doch ehe ich dahin abreiste, sollte ich noch einen sehr schweren Krankheits
fall an mir selber durchmachen. Eine heftige Erkältung, die ich mir kurz vor
der Abreise Ende Januar 1850 gelegentlich des Verkaufs meines Mobiliars
zugezogen hatte, warf mich auf ein hitziges Krankenlager. Nachdem ich einen
ganzen Tag im heftigsten Fieberfroste zugebracht hatte, brach endlich die Hitze
aus, aber, es kam zu keinem lösenden Schweiße. Die furchtbarsten Schmerzen
in der Brust trieben mir dagegen während voller 24 Stunden unausgesetzt die
heftigsten Aufschreie aus, daß die Zimmerwände gellten; sie wurden von einer
Abmagerung begleitet, so jäh und so mächtig, so daß ich in wenigen Tagen
um einige 20 Pfund leichter geworden war. Lungenödem stellte sich ein, Tag
und Nacht lief mir ein scharfes, ätzendes Wasser aus dem Munde und mehr
und mehr ermattet und atem- und pulslos, wie ich endlich dalag, nahmen
am Abend des achten Tages meiner Erkrankung meine Angehörigen Abschied
von mir, mich als vermeintliche Leiche über Nacht liegen lassend und andern