Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Wahrend besonders die Russin trotz der Fahrt im geschlossenen Schlitten, sowie 
trotz ihrer Pelze und ihres Glühweins ganz erfroren aussah. 
Den ganzen Weg nach Davos geht es fast immer bergauf; man hat ringsum 
Aussicht auf malerisch gelegene Berge von ca. 10 000 Fuß Höhe und vergißt 
ganz die Unannehmlichkeiten des Winters beim Anblick dieser eigenartig schönen 
Winterlandschaften im Hochgebirge. 
Wie gemütlich dort dre Postschlittenfahrt gehandhabt wird, mag beweisen, 
daß mein Postillon einmal, ohne ein Wort zu sagen, sein Leitseil an den 
Schlitten band und auf einem vor uns fahrenden Schlitten hinten aufsaß, um 
sich mit einem Mädchen zu unterhalten, welches auf einer späteren Station 
eingestiegen war. Ich konnte nicht umhin, das Leitseil sofort selbst in die 
Hand zu nehmen und zu kutschircn; denn wir hatten einen Abgrund von 
mehren hunderten von Fußen neben uns; mein Reisegefährte, ein Schweizer 
aus der Umgegend, meinte jedoch, die Pferde kennen den Weg ganz genau und 
feien so sicher, daß das Anbinden des Leitseils ihm lieber sei; ich kutschirte 
aber dennoch so lange, bis der Postillon wieder zurückkam, weil ich es für 
besser hielt, mein Leben nicht dem Zufall, z. B. dem Scheuen eines Pferdes, 
Preis zu geben. 
In Davos-Platz abends ^6 Uhr angekommen, war der ganze Ort mit 
Kurgästen besetzt; ich erhielt vom Kurhausbesitzer, den ich vorher schon kannte, 
aus besonderer Vergünstigung und dies nur für eine Nacht Quartier, so daß 
ich den Tag nachher mir eine Unterkunft in dem x / 4 Stunde entfernten 
Dörfli suchen mußte. Nach der Ankunft und nach eingenommenem Abendessen, 
das bei mir in Omlette mit Compot bestand, erkundigten wir uns, wie man 
den Abend angenehm zubringen könne und hörten, daß es noch Konzert, auch 
Theater gäbe; wir stimmten, nämlich der Wiener und Schweizer Reisekollcge, 
für das Konzert, allein die Gesellschaft erwies sich später so ermüdet von der 
Reise, trotz Safsella, Glühwein und Rostboeuf, daß dieselbe früh zu Bette ging, 
während ich allein, trotz meiner 61 Jahre und trotz meiner vermeintlich schlechten 
Lebensweise noch einige Stunden frisch und munter in Gesellschaft von anderen 
Kurgästen aufblieb. 
Morgens und abends ist es sitzt in Davos kühl, aber eigentümlicherweise 
nicht so kalt, wie im Thal oder bei uns in Ulm; um 9 V2 Uhr morgens 
kommt schon die Sonne, die am Thermometer (in der Sonne hängend) 18 Grad 
Reaumur Wärme erzeugte, trotzdem ist der in Masse vorhandene Schnee noch 
lange nicht weggeschmolzen. 
Auf der Straße traf ich eine Landsmännin, welche hier die Kur gebraucht* 
und die cs freute, mich hier zu sehen; ich lud sie ein, mit mir auf die große 
Terrasse des Kurhauses zu gehen, wo wir am Montag, dem 26. Januar, im 
Freien bei 18 Grad Wärme den Tönen der Kurmusik lauschten und Kaffee 
tranken. Ich trinke nämlich ausnahmsweise auch einmal eine Tasse Kaffee, 
mit viel Milch, was nicht viel schaden kann. 
In Davos tragen die meisten Kurgäste Strohhüte und blaue Brillen wegen 
des Schnees und der dort fast immer scheinenden Sonne. 
Viele Engländer, Franzosen und Deutsche sah ich „schlucken", wie man 
dort sagt, nämlich auf Budenschlitten den Berg hinunter fahren. Die Lords 
und andere hohe Herren ziehen dann in höchst eigener Person den Schlitten 
wieder den Berg hinauf. Über die Kurmethode (es sind meistens Brust- und 
* Daß die Kur derselben nicht viel nützte, beweist ihr bald daraus in der Heimat 
dennoch ersolgier Tod.
	        
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