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Wahrend besonders die Russin trotz der Fahrt im geschlossenen Schlitten, sowie
trotz ihrer Pelze und ihres Glühweins ganz erfroren aussah.
Den ganzen Weg nach Davos geht es fast immer bergauf; man hat ringsum
Aussicht auf malerisch gelegene Berge von ca. 10 000 Fuß Höhe und vergißt
ganz die Unannehmlichkeiten des Winters beim Anblick dieser eigenartig schönen
Winterlandschaften im Hochgebirge.
Wie gemütlich dort dre Postschlittenfahrt gehandhabt wird, mag beweisen,
daß mein Postillon einmal, ohne ein Wort zu sagen, sein Leitseil an den
Schlitten band und auf einem vor uns fahrenden Schlitten hinten aufsaß, um
sich mit einem Mädchen zu unterhalten, welches auf einer späteren Station
eingestiegen war. Ich konnte nicht umhin, das Leitseil sofort selbst in die
Hand zu nehmen und zu kutschircn; denn wir hatten einen Abgrund von
mehren hunderten von Fußen neben uns; mein Reisegefährte, ein Schweizer
aus der Umgegend, meinte jedoch, die Pferde kennen den Weg ganz genau und
feien so sicher, daß das Anbinden des Leitseils ihm lieber sei; ich kutschirte
aber dennoch so lange, bis der Postillon wieder zurückkam, weil ich es für
besser hielt, mein Leben nicht dem Zufall, z. B. dem Scheuen eines Pferdes,
Preis zu geben.
In Davos-Platz abends ^6 Uhr angekommen, war der ganze Ort mit
Kurgästen besetzt; ich erhielt vom Kurhausbesitzer, den ich vorher schon kannte,
aus besonderer Vergünstigung und dies nur für eine Nacht Quartier, so daß
ich den Tag nachher mir eine Unterkunft in dem x / 4 Stunde entfernten
Dörfli suchen mußte. Nach der Ankunft und nach eingenommenem Abendessen,
das bei mir in Omlette mit Compot bestand, erkundigten wir uns, wie man
den Abend angenehm zubringen könne und hörten, daß es noch Konzert, auch
Theater gäbe; wir stimmten, nämlich der Wiener und Schweizer Reisekollcge,
für das Konzert, allein die Gesellschaft erwies sich später so ermüdet von der
Reise, trotz Safsella, Glühwein und Rostboeuf, daß dieselbe früh zu Bette ging,
während ich allein, trotz meiner 61 Jahre und trotz meiner vermeintlich schlechten
Lebensweise noch einige Stunden frisch und munter in Gesellschaft von anderen
Kurgästen aufblieb.
Morgens und abends ist es sitzt in Davos kühl, aber eigentümlicherweise
nicht so kalt, wie im Thal oder bei uns in Ulm; um 9 V2 Uhr morgens
kommt schon die Sonne, die am Thermometer (in der Sonne hängend) 18 Grad
Reaumur Wärme erzeugte, trotzdem ist der in Masse vorhandene Schnee noch
lange nicht weggeschmolzen.
Auf der Straße traf ich eine Landsmännin, welche hier die Kur gebraucht*
und die cs freute, mich hier zu sehen; ich lud sie ein, mit mir auf die große
Terrasse des Kurhauses zu gehen, wo wir am Montag, dem 26. Januar, im
Freien bei 18 Grad Wärme den Tönen der Kurmusik lauschten und Kaffee
tranken. Ich trinke nämlich ausnahmsweise auch einmal eine Tasse Kaffee,
mit viel Milch, was nicht viel schaden kann.
In Davos tragen die meisten Kurgäste Strohhüte und blaue Brillen wegen
des Schnees und der dort fast immer scheinenden Sonne.
Viele Engländer, Franzosen und Deutsche sah ich „schlucken", wie man
dort sagt, nämlich auf Budenschlitten den Berg hinunter fahren. Die Lords
und andere hohe Herren ziehen dann in höchst eigener Person den Schlitten
wieder den Berg hinauf. Über die Kurmethode (es sind meistens Brust- und
* Daß die Kur derselben nicht viel nützte, beweist ihr bald daraus in der Heimat
dennoch ersolgier Tod.