Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

45 
Bei 4. Eine Nahrungsmittellehre für u n g e b o r e n e Thiere oder Men 
schen ist bislang von vegetarianischer Seite noch nicht geleistet. Auch für 
Säuglinge haben wir bislang mit größter Entschiedenheit stets nur die 
Mutterbrust verlangt. — Die Unsicherheit sängt erst nachher au. — Die 
Mutter kleiner Vögel weiß ganz genau, was sie den Kleinen zu bringen hat: 
Körner, wenn es kleine Lerchen. Insekten, wenn es kleine Meisen sind. - Die 
Mutter kleiner Menschen weiß aber noch nicht genau, was das 
B e st e i st; darum suchen wir nach beiden Seiten, und wenn wir nur gut 
zusehen wollen, so wird in eine so eminent praktische Frage doch wohl endlich 
Mal einiges Licht kommen. — Ucbrigens könnte man aus Professor Reclam's 
Worten unschwer herleiten, daß auch Pferd und Rind Fleisch fressen müßten, 
weil sie nach der Geburt in der Milch der Mutter mit thierischer Kost sich 
ausschließlich nähren! 
Und schließlich bei 5. Jeder Mensch, der irgend eine Ansicht vertritt, und 
aufrichtig ist, muß doch dieselbe für richtiger halten, als die entgegengesetzte. 
Das ist noch kein Hochmuth, kein Klugdünken. Professor Reclam 
z. B. vertritt die Abfuhr gegenüber der Kanalisation — er wird aber gewiß 
nicht zugeben, daß er damit alle Gegner der Abfuhr für „dumm, un 
wissend oder schlecht" erklärt habe. Und wenn auch ein Einzelner seine 
Sache mit besonderer Lebhaftigkeit vertheidigt, so dürfen darauf nicht Ver 
unglimpfungen aller Gleichdenkenden gegründet werden. Von den deutschen 
Vegetarianern liegen jetzt 11, von den englischen schon 28 Jahrgänge 
Vereinsblätter vor, aus diesem möge doch Professor Reclam die An 
schuldigungen nachweisen, die er gegen die g e s a m m t e n Vegetarianer erhebt. 
Er kann es nicht, denn seine Vorwürfe sind gänzlich unbegründete Be 
hauptungen ; dazu ist seine Ausdrucksweise, namentlich bei Hindeutung aus 
Persönlichkeiten, so abweichend von dem, was in guter Gesellschaft üblich 
ist, daß ich verzichten muß, darauf zu erwidern. Solche Angriffe verfehlen 
unter anständigen Leuten stets ihr Ziel und schaden nur dem Angreifer — 
darum wird jeder unbefangene Leser auch hier das richtige Urtheil fällen! 
Alfred v. Seefeld in Hannover. 
Nachschrift der Redaction. 
Prof. Dr. Reclam hat schon einmal dem Vegetarianismus Eins aus- 
zilwischen versucht und zwar in Nr. 34 des in Leipzig erscheinenden illustrirten Journals 
„Das neue Blatt" vom Jahre 1872, worin er seinen Besuch bei der Vegetariancr- 
versammlung in Leipzig schildert und zum Schlüsse sein absprechendes Urtheil über die Sache 
wie die Leute zum Besten giebt. Ich habe in Nr. 10 des „N.-A." einen Auszug aus seinem 
Bericht und in Nr. 11 eine Kritik desselben und der schiefen Ansichten dieses medizinischen 
Professors gebracht, welche mir von verschiedenen Seiten das Prädikat „brillante Abtrumpf- 
ung" eingetragen! Ich selbst halte mir die Reclam 'sche Zeitschrift „Gesundheit" und habe 
dessen Recension des H a h n 'scheu Buches gelesen, auch dem Verfasser davon Mittheilung 
gemacht, es aber nicht für nothwendig gesunden, hier darauf Appell zu geben: nichts desto- 
weniger kann ich aber der See f e ld'scheu Erwiderung meinen Beifall nicht versagen und 
darum mag sie als a n t i p r o s e s s o r a l e vegetarianische Leuchtkugel ihren Platz im „N.-A." 
finden, da eine Auffrischung dieses Themas von Zeit zu Zeit ganz, in der Ordnung ist! — 
Nur iu einem Punkte möchte ich Freund v. Sceseld contra Reclam sekundiern, 
nämlich wo der gelehrte medizinische Professor den hinkenden Vergleich vorbringt und fragt: 
was man denn dazu sagen würde, wenn der Zimmermann den Uhrmacher belehren wollte 
und boshaft beifügt: daß ganz o b s c u r e Persönlichkeiten sich dennoch erdreisten, 
in der Ernährungsfrage ein Wörtchen mit reden zu wollen, während diese doch eine Domäne 
sei, wo nur die medizinische Fakultät zu weiden berechtigt! Gut ge 
brüllt, Leipziger approbirter Löwe! Nun frage ich aber Dich, wo war denn Deine hochweise 
Fakultät, als nach dem Bibelbuch vor 5000 Jahren der liebe Gott das erste Menschenpaar
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.