Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

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überhaupt nicht zur Bildung eines Jnfectionsherdes gekommen, sonst hätte der Gang der 
Jnfection und die zeitlicke Ausbreitung der Krankheit in jeder Beziehung eine größere 
Versckiedenheit erhalten. Wir haben zwischen der Erkrankung der Prinzessin Victoria und 
der übrigen 5 Familienglieder einen Zeitraum von 57 a -8 Tagen, welcher dem Jncubations- 
stadium der Diphtherie vollkommen entspricht. Die Erkrankung dieser 5 Personen erfolgte 
innerhalb 27 2 Tagen, und wir müssen daher bei der verschiedenen Individualität und Em 
pfänglichkeit annehmen: es ist die Zeit, innerhalb welcher das Contagium acquirirbar war, 
eine außerordentlich kurze gewesen, die Jnfectionen mußten gleichzeitig oder nicht lange 
hinter einander stattgefunden haben, und dann war vorerst keine weitere Acqnisition und 
Verbreitung des Krankheitsstoffes mehr möglich. Im entgegengesetzten Falle müßten wir 
nachfolgende Erkrankungen unter der Hofhaltung und dem Wartepersonal erhalten haben. 
Nun ist aber die Zeit und Art der Jnfection aufs evidenteste nachgewiesen worden, so daß 
das Ergebniß mit den Propositionen stimmt, wie bei einem richtig durchgeführten Expe 
riment. Betrachten wir nun noch die nachkommende Erkrankung I. k. H. der Großherzogin, 
so haben wir auch hier wieder den Jnfectionsherd direct i n d e r F a m i l i e und am 
Krankenbette des Erbgroßherzogs zu suchen, um dessen Leben die Mutter in peinigender 
Angst die Nächte durchwachte, und den sie, als er ihr wieder geschenkt war, trotz aller- 
ärztlichen Warnungen, zu früh in die Arme schloß. Als ich den Erbgroßherzog verließ, 
waren noch einzelne Membranreste und eiternde Geschwüre in der Rachenhöhle vorhanden; 
auch diese diphtherischen Residuen und die sie umspülende Flüssigkeit können noch krank-- 
heitserregend wirken, wenn sie wieder auf günstigen Boden gebracht werden, wie ich 
mich leider wiederholt überzeugte. Zwischen meiner Abreise und der Erkrankung I. k. H. 
lagen nur 14 Tage, und die vollständige Reinigung der Mundhöhle hat außerdem noch 
mehre Tage in Anspruch genommen, so daß auch hier wieder die Zeit von der propo- 
nirten Jnfection bis zum Ausbruch der Krankheit der Jucubationszeit der Diphtherie 
noch vollkommen entspricht. Eine ähnliche Verbreitung der Diphtherie durch Küsse habe 
ich im Jahre 1869 in der Familie des Barons v. R., damals in München, beobachtet. 
Der jüngste Sohn saß in der Schule neben einem an Diphtherie kranken Knaben, der auch 
an dieser Krankheit zu Grunde ging, acquirirte eine leichte katarrhalische Diphtherie, und 
da in der v. R.'schen Familie die Kinder Morgens und Abends den Vater küßten, bevor 
sie in die Schule oder zu Bette gingen, so inficirte der kleine Otto zuerst den Vater und 
von diesem aus — wie auch Baron v. R. bei seiner Erkrankung selbst sogleich hervorhob 
— wurden auch noch die zwei anderen Kinder angesteckt und erkrankten an den nächstfolgen 
den Tagen an den schweren croupösen Formen der Diphtherie. Auch hier blieb die Krank 
heit, nachdem die nöthigen Vorsichtsmaßregeln ergriffen waren, nur auf diese Glieder der 
Familie beschränkt, und weder jemand von der zahlreichen Dienerschaft erkrankte, noch kam 
es zur Bildung eines Jnfectionsherdes in diesem Hause. Ich könnte noch einige derartige Fälle 
aus meinen Beobachtungen anführen. Das diphtherische Contagium, dessen parasitäre 
Natur mir zur Ueberzeugung geworden, ist wenig flüchtig, ist vorwiegend in den 
diphtherischen Membranen nnd in der M u n d f l ü s s i g k e i t verbreitet, und 
die Ansteckung erfolgt in den meisten Fällen durch d i r e c t e Uebertragung desselben, ent 
weder durch die atmosphärische Luft, oder durch Berührung von Gegenständer:, 
an welchen dasselbe haftet, namentlich solcher, die wieder mit der Schleimhaut der Mund 
höhle 2C. 2C. in Contact kommen, rvie Löffel, Trinkgefäße, auch Taschen 
tücher u. s. w. Die Möglichkeiten der Uebertragung sind so zah l r e i ch u n d mann i ch- 
f a ch, daß sie selbst bei einer sorgfältigen Nachforschung nicht immer direct nachgewiesen 
werden können. Dagegen. ist die Verbreitung des diphtherischen Contagiums durch die 
Luft eine weitaus seltenere, und wir werden diese Art der Uebertragung nur dann 
annehmen dürfen, wenn wir wirklich im Stande sind alle anderen Möglichkeiten vollständig 
auszuschließen, und selbst bei der Bildung von Infektionsherden, deren Entstehung ja voll 
kommen zugegeben werden muß, werden wir immer noch die Uebertragung des Co::taginms 
durch Gegenstände, welche mit demselben in Berührung kommen, und an denen es 
haften bleibt, gar wohl im Auge zu behalten haben. Die Möglichkeit einer solchen Jn 
fection ist immer noch eine weitaus größere, als die durch die Luft. Möchte nun diese Dar 
stellung einigermaßen ein Bild der Krankheitsprocesse und des Ganges der Jnfection in 
dem hohen Hause geben. (Schluß folgt.) 
Neueste Stellung der berste ;ur Impffrage. 
Am 15. u. 16. September dieses Jahres findet der 7. deutsche Aerztetug 
in Eisenach statt. Auf seiner Tagesordnung steht obenan: 
die I m p f f r a g e; dieselbe wird entsprechend dem von der auf dem 6. Aerzietag
	        
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