Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

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geschickt. Sollten Sie noch eine kleine Anzahl des Flugblattes haben, so würde 
ich sie hier verbreiten. Vor Allem meinen Dank für die gesandten Schriften von 
Ihnen und Anderen. Biographisch haben wir sehr ähnliche, ich geradezu aben 
teuerliche Schicksale gehabt. Ich war Theologe, Philologe, 
Philosoph, kostete Jura und wurde schliesslich Medieiner, zuerst in Pest, 
später in Wien und Leipzig, war zwei Jahre bei Priessnitz quasi famulus, ein Jahr 
bei Sehroth, zwölf Jahre meiner Kränklichkeit halber, die nach dem Typhus zurück 
geblieben war, in Wasserheilanstalten, besonders in der Schweizermühle bei 
Dr. Herzog (seit 1835). Unglücklich verheirathet, habilitirte ich mich 1849, und die 
Kämpfe in allen Dichtungen, die seitdem ausgesuchten werden mussten, sind es, die 
mir weisses Haar etc. vor dei Zeit brachten, besonders die oft grauenvolle, Monate, 
Jahre lang, seit 1866 sich wiederholende Schlaflosigkeit. Trotzdem habe ich, 
bis auf England, Russland und die Türkei, allmälich ganz Europa studirend durchreist. 
Meine Schrift ist das Ergebniss einer, die Assistentenjahre eingerechnet, dreissig- 
j ährigen umfangreichen, akademisch verwertheten, mühsamen ärztlichen 
Praxis. Habe ich doch durch fast zwei Jahrzehnte in den Polikliniken mit 5—6 
Assistenten als Geburtshelfer, Frauen- und Kinder-Arzt und gleichzeitiger geburtshilf 
licher Dozent, jährlich 4—6000 Kranke bewältigen müssen. Die Nächte sass ich am 
Studirtisch. In den Lazaretten von Paris, Wien, Prag u. s. w. brachte ich 
wiederholt Monate zu. Impfgegner wurde ich, abgesehen von der Beobachtung der 
immer häufiger werdenden Fehl-, Faul - und Todtgeburten und der zunehmen 
den Säuglingssterblichkeit und Dyskrasie, abgesehen von dem beobachteten immer 
seltener werdenden Stillen der Frauen (gesunde Ammen sind hier Raritäten, 
während syphilitische Frauenkrankheiten und Geburtsanomalien jährlich zunehmen) —, 
ich sage: Impfgegner wurde ich vor Allem durch die Beobachtung des durch 
die Impfung begünstigten Umsichgreifens der Syphilis, durch 
das mit jedem Dezennium immer Seltenerwerden sogenannter 
guter Impflymphe, wollte man anders nicht von kranken an 
steckenden Kindern a b i m p f e n. Während der Impfzeit hatte ich allwöchentlich 
zwanzig Jahre lang einen kleinen Saal voll Impflinge, und zuletzt oft kaum 2—3 Kinder, 
die ich zum Abimpfen brauchen konnte, weil ich eben als Familienarzt die Eltern 
wie die Kinder kannte. Nun ging ich erfolglos zum Glyzerin, zur animalischen 
Lymphe, — bis es eben faktisch, ohne gewissenlos zu handeln, nicht 
mehr ging! Dass ich Todesfälle, Krankheiten nach dem Impfen 
auch sah, versteht sich von selbst. Nun begann ich Anfangs den Kampf 
gegen Syphilis, und als ich den Zusammenhang erkannte, sofort auch gegen 
die Impfung. Ich beschreibe Ihnen absichtlich diesen Lebensgang, weil er Ihnen 
zeigen wird, dass es nicht „schweinslederne“ Theorie, sondern praktische 
Beobachtung und Erfahrung war, die mich schreiben liess. Sobald ich mich 
hier losmachen kann, komme ich einmal als Kurgast (aber nicht als „Gast“) zu Ihnen, 
und erhole mich, was mir dringend nöthig ist. Vorläufig aber muss erst die Reichs 
tags-Session und die Impfmedizinerburg bestürmt, berannt, beschossen und begossen 
werden, bis sie es satt bekommen und — kapituliren. Freilich kann das lange — lange 
dauern. Sehen Sie den Schluss meines I. Bandes. Aber — sie werden kapituliren. 
Dauert’S indess noch lange, dann können sie es auch bleiben lassen und mit und gleich 
den Schafen krepiren und dezimirt und generirt — von Russland und Komp.*) sich 
wehrlos erschlagen lassen. Fast scheint es das Schicksal so beschlossen zu haben, 
deshalb setze ich auch heute Alles daran, was ich habe.“ 
„Nun noch eine Bitte: 
1. Dass Sie mir gewogen bleiben mögen. 
2. Dass Sie womöglich sei es der Sache im Allgemeinen, sei es meiner Schrift im 
Besondern, in der „Tagespresse“ Eingang verschaffen möchten, vielleicht durch 
gelegentliche Besprechung meiner Schrift oder der darin gegebenen Thatsachen. 
8. Dass Sie, soweit das möglich, auch dem Rath E ng el’s folgen, d. h. wo möglich 
die Leithämmel unter den Medizinern und wäre es zunächst nur einer — und 
politischen Grössen, Staatsmänner für die Sache zu gewinnen suchen. 
Ich habe vorgeschlagen, dass man, dem Beispiele Palmerston’s folgend, eine 
„JE n qu et e p ubli qti e“ herbeiführen und schleunigst eine Untersuch 
ungskommission aus Männern aller Stände, unabhängige etc., ernennen möge.“ — 
(Schluß folgt.) 
*) Siehe meine neueste Schrift: Paradies der Gesundheit (Cötheu, P. Schettler), 
S. 416 am Schluß des 7. Einwandes. Th. H.
	        
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