Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

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geheimnißvolle, lateinische Worte, ohne Apotheke. Zugleich ein recht un 
bequemes Recept, bei dem es nicht genügt, die Medicin der Apotheke regel 
mäßig einzunehmen, sondern das beständige Beachten unserer selb st, 
vielleicht eine vollständige Aenderung unserer Gewohnheiten, liebgewordener 
falscher Lebensweise verlangt. 
Denn die gewöhnlichen Krankheiten entstehen 1) aus täglichen kleinen 
Unterlassungssünden: Versäumniß der Körperbewegung, des Voll- 
athmens, des Wassertrinkens. der Hautpflege. kürzer gesagt: aus Wasser- 
und Luftscheu, welche zur Verweichlichung, anstatt zur Abhärtung führt; 
2) aus täglichen kleinen thatsächlichen Sünden: hockende Körperhaltung oder 
einseitige Handirung — Einathmen schlechter, verdorbener Luft (nicht zum Gering 
sten in schlecht ventilirten Kneipen, in denen die Meisten Abends ihre Erholung (!) 
suchen) — quantitativ und qualitativ ungesundem Essen und Trinken, kürzer 
gesagt: Ueherarbeitung und Verfütterung, welche zum Siechthum 
führen. Die Krankheiten entstehen aus ungesunder Blut- und Säfte 
mischung und werden durch Reinigung des Blutes und der Säfte kurirt. 
Krankheit ist nur erworbene Störung der Gesundheit, Ku 
riren ist keine technische Leistung, sondern nur sachverständige Begutachtung, der 
„Heilkünstler" wird zum Seiten stück des Seelsorgers, zum 
Leibsorger und als solcher ist er nur Diener, nicht aber Meister der Natur 
und deren Gesetze. „Jeder ist wie seines Glückes, so auch seiner Gesundheit 
eigener Schmied und der Arzt kann ihm höchstens die Hand dabei führen." 
Natürlich muß ein solches Bekenntniß auf den Widerspruch der medicinischen 
Zunftgenossen stoßen, schon aus dem Grunde, weil Zustimmung das beschämende 
Geständniß einschließen würde, daß man sich bisher geirrt habe! Man 
wird als „paradoxer" Kopf erscheinen, nach Goethe's bekanntem Wort: 
„Die Wenigen, die was davon erkannt, 
Hat man von jeher nur gesteinigt und verbrannt." 
„Doch, wenn auch L i ch t e n b e r g's Wort, daß man wohl vom Wahr 
sagen leben könne, nicht aber vom Wahrheit sagen zutreffend ist, so scheint 
doch das Gelingen der neuern Bestrebungen auf dem Gebiete der Gesundheits 
pflege und naturgemäßen Heilweise nicht ganz aussichtslos, weil denselben auf 
anderen Gebieten bereits vorgearbeitet wurde. Wir wollen die Schranken zwischen 
Arzt und Laienthum fallen lassen, d. h. nur dieselbe Neuerung, welche bereits in 
unserem Staats- und Gemeindelebcn eingeführt ist: das synodale Zusammenwirken 
muß auch hier Platz greifen. Freilich, die Zeit ist noch nicht vorüber, welche schon 
vor 100 Jahren Kant mehr nur als eine der Aufklärung beflissene, denn als eine 
wirklich aufgeklärte bezeichnete. Die Klage ist n o ch berechtigt, daß mit der 
populären Belehrung mehr nur ein ärztliches Halbwissen, als, worauf es ankommt, 
hygienisches Denken geschaffen worden, daß die Bequemlichkeit und der 
gewohnheitsmäßige Schlendrian des großen Publikums sich nur schwer zu der intellec- 
tuellen Mitwirkung jedes Einzelnen verstehen will, ohne welche doch eine Besserung 
gar nicht möglich ist. Kurz: die medika st rische Orthodoxie überwiegt 
noch bei Weitem die hygienische Freisinnigkeit. (Schluß folgt.) 
JJnr Erinnerung an Prot. vr. moä. D. f. Germann. 
Von Hheodor Kahn. 
Die Blätter des verflossenen Herbstes brachten uns die Trauerkunde von 
dem in der ersten Octoberwoche erfolgten Tode des Professors und Doctors 
der Medicin W. F. Germann in Leipzig. Den Lesern war derselbe als
	        
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