Volltext: Der Naturarzt 1878 (1878)

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It cf) e Kuhpocken geben sollü Dennoch betrachtete man Anfangs in vielen Staaten die 
Impfung von der Kuh mit Mißtrauen, so z. B. blieb in England die Inokulation des 
Blatterngiftes von Menschen noch im Gange bis gegen das Jahr 1840; — andere Staaten 
dagegen führten schon früher die Impfung mit wirklicher oder humanisirter Kuhpockenlymphe 
theils gesetzlich ein. theils begünstigten sie die Verbreitung derselben (Schweden, die süd 
deutschen Staaten, die Schweiz, Frankreich, Rußland). Aber trotzdem muß man sagen, daß 
vielleicht mit Ausnahme von Schweden, die Schutzpockenimpfung in blatterfreien Zeiten sehr 
lässig betrieben wurde, und erst die letzte große Pockenepidenrie der Jahre 1871 und 72 
führte zu energischem Vorgehen einzelner Regierungen und machte die Mehrzahl des 
Publikums der zwangsweisen Durchführung der Impfung geneigt. Uebrigens ist auch gegen 
wärtig die A g i t a t i o n gegen den Impfzwang vielerorts eine bedeutende und es 
wäre unrecht, dieselbe vom hohen Pferde der Wissenschaft herab einfach zu ignoriren. 
Die Gegner der Impfung behaupten, erstens, die Schutzkraft derselben sei eine Täuschung; 
die statistischen Zahlen, durch welche man sie gewöhnlich zu beweisen versuche, seien nicht 
zuverlässig, und man könnte ebensogut beweisen, daß die Geimpften nicht wesentlich seltener 
an ächten Blattern erkranken, als die Ungeimpften; sie fügen bei, daß auch der Verlauf der 
Krankheit bei den Ersteren kein milderer sei als bei den Letzteren, und daß überhaupt die 
Sterblichkeit an Blattern seit Einführung der Impfung nicht abgenommen habe. Zweitens 
heben die Jmpfgegner hervor, daß aus der Impfung den Kindern oft ein gesundheitlicher 
Schaden erwachse; schon die mit einer erfolgreichen Impfung verbundene Allgemein- 
erkrankung sei in diesem Alter nicht gleichgültig und könne zu tieferen Störungen 
Veranlassung geben, sodann erkranken und sterben die Kinder nicht selten an der 
I m p f r o s e und schließlich sei kein Kind vor Uebertragung der Syphilis mit dem 
Jmpsstoff sicher! - 
Müßte man die Richtigkeit dieser Gründe der Jmpfgegner in voller Ausdehnung zu 
gestehen, so wäre damit auch dasTodes-Urtheil über die S ch u tz p o ck e n i m p f u n g 
ausgesprochen und Leider (?) befinden sich auch gegenwärtig noch die Jmpffreunde nicht in 
der Lage, alle von ihren Gegnern erhobenen Einwände überzeugend zurückzuweisen; deshalb 
ist es auch bis jetzt nicht gelungen, die auseinandergehenden Ansichten zu vereinigen. Es 
hat sich nämlich in der That gezeigt, daß die ganze bisherige B l a t t e r n st a t i st i k 
mit Wenigen Ausnahmen gar nichts taugt und mit gutem Gewissen von N i e m a n d e m zum 
Beweis der Schutzkraft der Impfung verwendet werden kann, so daß offenbar die Zahlen 
angaben über die Häufigkeit der Erkrankungen und Todesfälle an Blattern bei Geimpften 
und Nichtgeimpften von den Vertheidigern der Impfung mit großer K r i t i k l o s i g k e i t 
zur Unterstützung ihrer Ansichten benützt worden sind! — Der größte Fehler aller 
dieser statistischen Angaben beruht darin, daß sie sich immer nur auf die Zahl der Er 
krankten und Gestorbenen unter Geimpften und Nichtgeimpiten beziehen, ohne Rücksicht 
aus das Verhältniß Geimpft er und Nichtgeimpfter in der Bevöl 
kerung. Es ist aber klar, daß nur dann der Nutzen der Impfung als bewiesen zu 
betrachten ist, wenn sich herausstellt, daß unter der Gesammtsumme der Nichtge 
impften bei vorkommenden Blatternepidemien die Erkrankungen und Todesfälle erheblich 
häufiger sind, als unter der Gesammtzahl der Geimpften. Auf die übrigen Mängel 
der Blatternstatistik kann ich hier nicht eingehen. 
Was den von den Jmpfgegnern hervorgehobenen ungünstigen Einfluß der Impfung 
aus den Gesammtgesundheitszustand der Kinder betrifft, so besitzt man hierüber keine Beob^ 
achtungen in größerem Maßstabe, so daß dieser Einwarf nur auf persönlicher Erfahrung 
einzelner Aerzte beruhen kam: und deshalb weder allgemeine Bedeutung noch hinlängliche 
Beweiskraft hat. Gefährliche Erkrankungen an Rose nach der Impfung kommen meistens 
nur in Findelhäusern vor; in Privathäusern und bei der öffentlichen Impfung sind sie, 
soviel man weiß, äußerst selten. Die Gefahr der Syphilisübertragung mit dem Impfstoff 
läßt sich nickt l ä u g n e n, ebensowenig wie das wirkliche Vorkommen solcher 
traurigen Zufälle! Das Schlimmste hiebei ist, daß auch die sorgfältigste ärztliche Unter 
suchung des Individuums, von welchem der Impfstoff genommen wird, bei der so häufigen 
Latenz der Syphilis den Arzt nicht vor einer Irrung schützt, welche ganz ohne seine Schuld 
sehr folgenschwer für seine Impflinge und für ihn selbst werden kann. Dieser Umstand ist 
namentlich in Ländern und Städten, wo die Syphilis verbreitet ist, äußerst fatal, und 
könnte wirklich die ganze Schutzpockenimpfung in Mißkredit bringen. 
Zur Beurtheilung der Bedeutung der Schutzpockenimpfnng hat man also hauptsächlich 
folgende Thatsachen:' 
1) Das Ueber stehen der auf die Impfung folgenden unbedeutenden Erkrankungen 
s ch ü tz t (?) den Menschen in hohem Grade (?) gegen eine sehr gefährliche Erkrankung an 
den ächten Pocken, wobei übrigens die Schntzkraft der vorgenommenen Impfung mit der 
Zeit abnimmt und nach einer gewissen Reihe von Jahren (durchschnittlich 15 Jahr)
	        
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