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It cf) e Kuhpocken geben sollü Dennoch betrachtete man Anfangs in vielen Staaten die
Impfung von der Kuh mit Mißtrauen, so z. B. blieb in England die Inokulation des
Blatterngiftes von Menschen noch im Gange bis gegen das Jahr 1840; — andere Staaten
dagegen führten schon früher die Impfung mit wirklicher oder humanisirter Kuhpockenlymphe
theils gesetzlich ein. theils begünstigten sie die Verbreitung derselben (Schweden, die süd
deutschen Staaten, die Schweiz, Frankreich, Rußland). Aber trotzdem muß man sagen, daß
vielleicht mit Ausnahme von Schweden, die Schutzpockenimpfung in blatterfreien Zeiten sehr
lässig betrieben wurde, und erst die letzte große Pockenepidenrie der Jahre 1871 und 72
führte zu energischem Vorgehen einzelner Regierungen und machte die Mehrzahl des
Publikums der zwangsweisen Durchführung der Impfung geneigt. Uebrigens ist auch gegen
wärtig die A g i t a t i o n gegen den Impfzwang vielerorts eine bedeutende und es
wäre unrecht, dieselbe vom hohen Pferde der Wissenschaft herab einfach zu ignoriren.
Die Gegner der Impfung behaupten, erstens, die Schutzkraft derselben sei eine Täuschung;
die statistischen Zahlen, durch welche man sie gewöhnlich zu beweisen versuche, seien nicht
zuverlässig, und man könnte ebensogut beweisen, daß die Geimpften nicht wesentlich seltener
an ächten Blattern erkranken, als die Ungeimpften; sie fügen bei, daß auch der Verlauf der
Krankheit bei den Ersteren kein milderer sei als bei den Letzteren, und daß überhaupt die
Sterblichkeit an Blattern seit Einführung der Impfung nicht abgenommen habe. Zweitens
heben die Jmpfgegner hervor, daß aus der Impfung den Kindern oft ein gesundheitlicher
Schaden erwachse; schon die mit einer erfolgreichen Impfung verbundene Allgemein-
erkrankung sei in diesem Alter nicht gleichgültig und könne zu tieferen Störungen
Veranlassung geben, sodann erkranken und sterben die Kinder nicht selten an der
I m p f r o s e und schließlich sei kein Kind vor Uebertragung der Syphilis mit dem
Jmpsstoff sicher! -
Müßte man die Richtigkeit dieser Gründe der Jmpfgegner in voller Ausdehnung zu
gestehen, so wäre damit auch dasTodes-Urtheil über die S ch u tz p o ck e n i m p f u n g
ausgesprochen und Leider (?) befinden sich auch gegenwärtig noch die Jmpffreunde nicht in
der Lage, alle von ihren Gegnern erhobenen Einwände überzeugend zurückzuweisen; deshalb
ist es auch bis jetzt nicht gelungen, die auseinandergehenden Ansichten zu vereinigen. Es
hat sich nämlich in der That gezeigt, daß die ganze bisherige B l a t t e r n st a t i st i k
mit Wenigen Ausnahmen gar nichts taugt und mit gutem Gewissen von N i e m a n d e m zum
Beweis der Schutzkraft der Impfung verwendet werden kann, so daß offenbar die Zahlen
angaben über die Häufigkeit der Erkrankungen und Todesfälle an Blattern bei Geimpften
und Nichtgeimpften von den Vertheidigern der Impfung mit großer K r i t i k l o s i g k e i t
zur Unterstützung ihrer Ansichten benützt worden sind! — Der größte Fehler aller
dieser statistischen Angaben beruht darin, daß sie sich immer nur auf die Zahl der Er
krankten und Gestorbenen unter Geimpften und Nichtgeimpiten beziehen, ohne Rücksicht
aus das Verhältniß Geimpft er und Nichtgeimpfter in der Bevöl
kerung. Es ist aber klar, daß nur dann der Nutzen der Impfung als bewiesen zu
betrachten ist, wenn sich herausstellt, daß unter der Gesammtsumme der Nichtge
impften bei vorkommenden Blatternepidemien die Erkrankungen und Todesfälle erheblich
häufiger sind, als unter der Gesammtzahl der Geimpften. Auf die übrigen Mängel
der Blatternstatistik kann ich hier nicht eingehen.
Was den von den Jmpfgegnern hervorgehobenen ungünstigen Einfluß der Impfung
aus den Gesammtgesundheitszustand der Kinder betrifft, so besitzt man hierüber keine Beob^
achtungen in größerem Maßstabe, so daß dieser Einwarf nur auf persönlicher Erfahrung
einzelner Aerzte beruhen kam: und deshalb weder allgemeine Bedeutung noch hinlängliche
Beweiskraft hat. Gefährliche Erkrankungen an Rose nach der Impfung kommen meistens
nur in Findelhäusern vor; in Privathäusern und bei der öffentlichen Impfung sind sie,
soviel man weiß, äußerst selten. Die Gefahr der Syphilisübertragung mit dem Impfstoff
läßt sich nickt l ä u g n e n, ebensowenig wie das wirkliche Vorkommen solcher
traurigen Zufälle! Das Schlimmste hiebei ist, daß auch die sorgfältigste ärztliche Unter
suchung des Individuums, von welchem der Impfstoff genommen wird, bei der so häufigen
Latenz der Syphilis den Arzt nicht vor einer Irrung schützt, welche ganz ohne seine Schuld
sehr folgenschwer für seine Impflinge und für ihn selbst werden kann. Dieser Umstand ist
namentlich in Ländern und Städten, wo die Syphilis verbreitet ist, äußerst fatal, und
könnte wirklich die ganze Schutzpockenimpfung in Mißkredit bringen.
Zur Beurtheilung der Bedeutung der Schutzpockenimpfnng hat man also hauptsächlich
folgende Thatsachen:'
1) Das Ueber stehen der auf die Impfung folgenden unbedeutenden Erkrankungen
s ch ü tz t (?) den Menschen in hohem Grade (?) gegen eine sehr gefährliche Erkrankung an
den ächten Pocken, wobei übrigens die Schntzkraft der vorgenommenen Impfung mit der
Zeit abnimmt und nach einer gewissen Reihe von Jahren (durchschnittlich 15 Jahr)