Volltext: Der Naturarzt 1878 (1878)

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Nolle auf Gräsenberg übernehmen zu sehen, und wenn er unsere Mithilfe nicht verschmähte, 
mit ihm vereint für die Hebung des Heilbades das Möglichste zu thun. -Diese Hoffnungen 
scheiterten! Voll glücklichen Sternen geleitet war er im Besitze der schönsten Anwartschaft 
ans eine preiswürdige irdische Laufbahn ) freudenreich für sich selbst, segensvoll für Andere. 
Ja, ich fühlte mich eines Tages wahrhaft ergriffen und gerührt, als mir Schindler versicherte, 
daß er es für sein höchstes Glück und für seine letzte Aufgabe betrachte, den Sohn des un 
sterblichen Gründers der Wasserkur, welchen letzteren er selbst auch als den schützenden und wohl 
thätigen Genius seines eigenen Lebens ehre, in der Wasserkur auszubildenundaufG räfenb erg 
einzusüdren. Leider kam es anders und kann man nur schmerzlich darüber erstaunen, daß er, 
dem alle Welt vermöge seines Namens und seiner Machtmittel voll Hingebung entgegen 
gekommen wäre, nun vereinsamt dasteht, ohne Einfluß, ohne Aner 
kennung, ohne Liebe! Wie leicht wäre es ihm gewesen, durch nur gewöhnliche 
Freundlichkeit, welche ihm vielfach erwidert worden wäre, die Gräfenberger Kurgäste zu fesseln 
und sich selbst zum gefeierten Mittelpunkt des B a d l e b e n s zu machen. 
Statt dessen flieht er seine Kurgäste (das heißt Personen, die in seinen Häusern w ohne n und 
e s s e n und vom Mediziner A nie! sich hydropathisch behandeln lassen !) auf ängstliche 
Weise und tritt nie anders als durch anmaßende Ansprüche und eigenmächtige Forderungen 
in Form von Dekreten und Plakaten mit ihnen in Wechselwirkung! Wenn er nach Gräsenberg 
kommt (er wohnt nämlich nicht ständig dort, sondern zuweilen auch auf seinem benachbarten 
Gute und bereits geschieden von seiner Frau, einer Tochter des Besitzers vom Rudolfs- 
b a d, Wasserheilanstalt am Semmering bei Reichenau), verläßt er seine hicrortigen Häuser 
womöglich durch d i e H in t e r t hü r e n und Hofräume, um von den Kurgästen nicht 
gesehen zu werden und leider stimmt es mit diesem Mangel an innerem Beruf für 
e i n e F o r t s e tz u n g d e r T h ä t i g k e i t seines Vaters zu Gunsten der Anstalt überein, 
daß er, um seinen materiellen Vortheil als Badebesitzer ohne weitere Mühewaltung zu erhöhen, 
zu dem wohlfeilen Mittel griff, Schindler in°der öffentlichen Meinung zu diskretiren! 
Zu diesem Ende wohl nur erschien dies Jahr in der ,,Schlesischen Zeitung" eine von ihm unter 
zeichnete Erklärung, worin er dem Publikum mittheilt, daß Josef Schindler kein Doktor der 
Medizin sei — der Sohn des unsterblichen Prießnitz scheute sich also nicht, damit seinen 
Vater, welcher eben durch die Erkenntniß eines Heilweges von so unermeßlicher Verwendbarkeit 
die leidende Menschheit der R e c e p t i r k u n st zu entreißen suchte, mit offenbarer Gering 
schätzung entgegenzutreten und zwar gewiß nicht aus Ueberzeugung, denn Reflexionen 
sind ja seine Sache nicht, sondern einfach deshalb, um Schindler zu schaden! Vinc. Paul 
Prießnitz litt es zur selben Zeit, daß in der „S ck l e s i s ch e n P o st" offenbar in seinem 
Dienste gleichzeitig eine andere Mittheilung aus Gräsenberg erschien, womit das Ent 
zücken des Kurpublikums ausgedrückt wurde, daß ans dem P r i e tz n i tz 'schen Antheil in Gräfen- 
berg ein d i p l o m i r t e r A r z t die Anstalt leite. Hier wird also das D i p l o m, welches 
doch Jeder haben kann, der mit oder ohne Beruf Medizin stndirt, dem G e n i u s — Prieftnitz 
genannt und den reichen Erfahrungen eines hochgebildeten Wasserarztes als vernichtend siegreich 
entgegengestellt. Giebt es doch überreiche Gelegenheit, die Heilkraft ärztlicher 
Diplome in den Städten zu probiren! Nach Gr äsen b erg geht deshalb aber — 
Niemand !! Und wenn V i u e e n z P a u l P r i e ß n i tz den Doktortitel sehr ehrt, warum macht 
er denn nach bekanntlich mühsam ab so lvirtem medizinischen Studium nicht den 
Anfang, auf die Doktorprüfungen oder Rigorosen zu studiren? Daß Schindler nicht 
Doktor wurde, lag in seinen Lebensverhältnissen, welche ihm die Jmmatrikulirung auf der 
Universität versagten, Bincenz Paul Prießnitz aber, in den glänzendsten Verhältnissen 
lebend, konnte und wollte Doktor werden und wurde es nicht! Ihm also und nicht 
Schindler fällt es zur Last, nicht Doktor zu sein!!! Wenn er mit jener Erklärung be 
absichtigte, den Schindler gewiß mit hundertfach größerem Rechte als so vielen diplomirten 
Alltagsköpfen vom Publikum gezollten Doktortitel zu vergällen, so ist es erheiternd, zu wissen, 
daß er sich von seinen sämmtlichen Bediensteten nie anders als „Herr Doktor" nennen 
läßt! Anstattdessen wäre esbesser, seineeigenenverfalleuden Häuser auf Gräsenberg wenigstens 
auf das Notdürftigste auszubessern, damit nicht wieder bai Geschrei erhoben werde, Gräfen- 
berg verfalle. 
Soweit der Verfasser, Oberlieutenant Ripp er, der sich für das fernere 
Gedeihen der Schöpfung seines Schwiegervaters alle erdenkliche Mühe giebt. 
Schade drum, daß der einzige Sohn des Wasfcrapostcls Prießnitz ein solch 
trauriger Tropf geworden ist und nicht in seines Vaters Geiste, fußend auf 
höherer Bildung, im Interesse unserer guten Sache, wie der leidenden Mensch 
heit die Anstalt ferner in humaner und weniger eigennütziger Weise 
leiten und die Methode selbst noch fortbilden kann! Wie leicht war i h m 
vom Schicksal die Sache gemacht und wie schwer fällt es Unser ein em, na-
	        
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