Volltext: Der Naturarzt 1877 (1877)

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ziger und Inhaber einer Herrenkleiderhandlung sei, bereits mehre Monate in 
dem auf dem Blatte geschilderten Zustande sich befinde und weder bei approb. 
Aerzten noch ein paar Curpfuschern (Magnetiseur) Hülfe gefunden habe; wei 
tere Auskunft war von der Frau nicht zu erlangen, daher entließ ich dieselbe 
mit dem Versprechen, in den nächsten Tagen ihren Vater besuchen zu wollen, 
da ich, ohne ihn gesehen und gesprochen zu haben, natürlich keine bestimmte 
Erklärung abgeben könne. 
Am Sonntag darauf fuhr ich Nachmittags nach dem Wohnorte des Pa 
tienten und fand den interessanten gehunfähigen Zitterer der Länge nach 
auf dem Sopha liegen; er hatte mich sehnsuchtsvoll erwartet und begrüßte 
mich daher, sehr erfreut über mein Kommen, mit den Worten: „Es ist schön 
von Ihnen, daß Sie doch noch kommen, ich hatte Sie schon am Donnerstag 
erwartet und weil Sie nicht kamen, bereits befürchtet, Sic kämen gar nicht, 
weil auch Sie mir nicht mehr helfen können!" Darauf erwiderte ich ihm, daß 
ich keinen Kranken seiner Art für unheilbar erkläre, so lange ich ihn noch nicht 
gesehen und gesprochen habe, umsoweniger, als ich der mir gesandten schriftlichen 
Beschreibung nach seinen Zustand noch lange nicht für hoffnungslos ansehen 
müsse, wenn er nämlich den Willen zu einer ernstlichen Cur besitze! 
„Oh, ich thue Alles," sagte er nun, „was Sie von mir verlangen, nur 
um nicht länger so fortleben zu müssen, ich werde gewiß noch wahnsinnig bei 
dem Gedanken, daß ich noch jahrelang in diesem Zustande, der vielleicht noch 
schlechter werden kann, werde zubringen müssen, helfen Sie mir, Sie werden 
einen folgsamen und dankbaren Patienten an mir bekommen!" 
Gut, sagte ich, dann schreiten wir zum Krankenexamen; ich ließ den 
Patienten nun sich ganz entkleiden und musterte von Kopf bis zu den Füßen die 
Muskulatur durch, welche ich an den obern Extremitäten, wie am Rumpfe sehr 
Tjtrt entwickelt fand, weniger an den Oberschenkeln, schlecht an den Unter 
schenkeln, an welchen ich die Wadeln erst suchen mußte, der Leib dagegen war 
umso umfangreicher, eines Bürgermeisters würdig und paßte schlecht zu dem 
erbärmlichen Gestelle — es war ein reines Guanolager! 
Patient ist mittlerer Statur und hat das Aussehen eines behäbigen wohl 
genährten Spießbürgers, der keine Noth gelitten; einen Arm konnte er seitwärts 
gestreckt nicht eine Minute lang ruhig halten, derselbe kam vielmehr stark in's 
Zittern und später fiel er ihm nolens volens herunter; ich hieß ihn sodann sich 
aufrichten und frei in's Zimmer sich hinstellen, er entgegnete aber ängstlich: oh, 
das geht nicht! Auf meinen ermunternden Zuspruch probirte er es aber und 
stand ein paar Minuten ruhig und frei da, dann sah er mich aber wieder 
ganz ängstlich an und sagte: es geht nicht länger, ich muß mich legen, der 
Kopf zerspringt mir, die Waden zucken! Ich gab ihm den Schlafrock zum 
Anziehen, . damit legte er sich kurze Zeit, dann ließ ich ihn die Kleider anziehen 
und probirte nun die sämmtlichen Muskeln vom Kopfe bis zur Sohle durch 
bezüglich ihrer Functionen — Beugung, Streckung, Drehung und siehe da — 
überall war die motorische Kraft noch vorhanden, überall konnte Patient activ 
die Bewegungen ausführen, die ich ihm vormachte, die meisten sogar auf du- 
plicirte Art, d. h. mit einigem Widerstand, also von Lähmung, oder Con- 
tractur nirgends eine Spur, darum rief ich ihm nach überstandencr 
Probe zu: Donnerwetter, so laufen Sie doch, Sie fauler Schlingel, wer wird 
Tage, Wochen, Monate so auf dem Lotterbette liegen, wie ein Faulthier und 
dabei noch gut essen und trinken (Fleisch, Wein, Bier rc.), besser noch als ein 
arbeitender Tagelöhner, da muß ja der Ofen zerplatzen vor Hitze, wenn keine 
Ableitung stattfindet, hier durch Muskelarbeit und kühle Bäder; kein Wunder
	        
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