Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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sehr treffend, sie sind in ihrer Mehrzahl nichts als Handwerker und G e - 
werbsleute, die die Medizin als Brodstudium wählten und sich nin so besser 
befinden, je mehr kranke Menschen ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Heißt es 
nicht die innerliche Natur ignorircn und alle Gebote der Klugheit und Vorsicht 
bei Seite setzen, wenn man Abhilfe gegen Krankheiten von denjenigen erwartet, 
die in ihrer Existenz darauf angewiesen sind? Ebensogut könnte man den 
Apothekern auftragen, dem Heilmittclschwindel entgegenzuwirken oder den Schenkern 
und Brauern die Aufgabe stellen, die Mäßigkeit zu befördern und der Trunk 
sucht zu steuern. Zwei Herren kann Niemand dienen, Heilärzte und Hygieiniker 
müssen daher im steten Kampf sein, und wenn es auch unter den Aerzten 
menschenfreundliche und unabhängige Männer giebt, die wegen ihrer Existenz 
nicht an Patienten gewiesen sind, und die sich vorzugsweise hygieinischen Studien 
widmen, so sind diese doch in der Minderzahl; es wäre dann auch unbillig, den 
Aerzten besondere Vorwürfe machen zu wollen, man muß diese vielmehr an 
diejenigen richten, die durch solche ihre Existenz bedrohende Zumuthungen sic 
geradezu zur Heuchelei verleiten. Wenn aber Jmpfärzte, die durch die 
Impfung bedeutende Summen verdienen, sich an die Parlamente 
und Regierungen mit Petitionen herandrängen, die ans Erhöhung dieses Ein 
kommens und ihres Einflusses hinauslaufen, so sollte dieser Umstand die Gesetz 
geber doch umsomehr zur Vorsicht mahnen. 
In Rücksicht dieser Umstände verdient daher der Vorschlag Dr. R e i ch's, 
daß alle Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege einem aus Ver 
trauensmännern aller Stünde zusammengesetzten Woh lfahrtsrath e an 
vertraut werde, die größte Beachtung, und es ist unsere Aufgabe, bei jeder 
Gelegenheit darauf hinzuwirken, daß die Aerzte nicht wie bisher 
ausschließlich über sanitäre Maßregeln, ja sogar über unsern 
Leib verfügen, wovon wir schon jetzt die verderblichen Consequenzen sehen, 
sondern daß den Laien, um deren Wohl und Wehe es sich doch handelt, eine 
entscheidende Theilnahme eingeräumt werde. So wird voraussichtlich der zu 
künftige Bezirks-Impfarzt, den man schlauer Weise in Jmpfsachen als 
allein competent erklärte, eine allmächtige und gefürchtete Person 
sein, in seinem Belieben steht es, die Jiupfgegner in ihren Kindern zu st r a f e n 
und Protectionen auszutheilen, denn sein Urtheil ist inappellabel. Auch 
das neue Reichsgesundheitsamt, ausschließlich aus sogenannten Fach 
männern d. h. Heilärzten zusammengesetzt, wird bewußt oder unbewußt in erster 
Reihe den ärztlichen Interessen dienen, die leider nicht mit denen der 
Bevölkerung zusammenfallen, wenn es auch nicht an Vielgeschüftigkeit fehlen wird. 
Wenn man die Urtheile unserer Professoren in der Jmpfsache in Betracht 
zieht, von ihren Mißerfolgen am Krankenbett abgesehen, so kann man sich des 
Eindrucks nicht erwehren, daß unsere medizinischen Fakultäten sich nicht so sehr 
bemühen, die Wahrheit zu erforschen als sie zu fälschen und 
solche Dogmen aufzustellen, die geeignet sind, die Menge 
in Abhängigkeit und Aberglauben zu erhalten! Und muß es 
nicht im hohen Grade befremden und steht es nicht mit der schönen Phrase, 
die man oft im Munde führt, sich mit der Zeit überflüssig zu machen, 
(Oesterlen, med. Logik) im grellen Widerspruch, wenn man noch beim 
letzten Choleracongreß in Wien bei verschlossenen Thüren tagte und 
nur spärliche Notizen veröffentlichte, damit ja das intelligente Publikum nicht 
Gelegenheit finde, sich aus den Debatten ein selbstständiges Urtheil z» bilden 
oder jene Widersprüche und Zerfahrenheit der Ansichten 
kennen zu lernen, die den Nimbus der gelehrten Herren
	        
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