Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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Versetzt, das Princip der persönlichen Freiheit auf's Gröbste verletzt. 
Was würde man sagen, wenn heut zu Tage ein katholisches Parlament etwa 
den Beichtzwang decretirte? Und was ist dagegen der Impfzwang? 
Wenn es sich um Sanitätsmaßregeln rein polizeilicher Natur, wie Desinfection, 
Sperrung, Quarautaine rc. handelt, wo schlimmsten Falls, wenn damit nichts 
genützt wird, nur eine Summe Geldes auf dem Spiele steht, da muß sich der 
Einzelne, mag er darüber auch verschiedener Meinung sein, allerdings den 
allgemeinen Anordnungen fügen. Ganz anders aber verhält sich die Sache, 
wenn man den Körper zum Gegenstand m e d i c i n i s ch e r Experimente 
machen und uns dieß oder jenes Medikament oder das Imps gift auf 
zwingen will, denn wenn auch im Mittelalter ein Despot, verführt von 
seinem Beichtvater, seine religiöse Ueberzeugung der Bevölkerung mit Galgen 
und Scheiterhaufen aufnöthigte oder von gleichem Wahne befangen, auf den 
Rath eigennütziger und herrschsüchtiger Aerzte seinen medizinischen Aberglauben, 
möchte diesen auch die Majorität der Bevölkerung theilen, zum Gesetze erheben 
konnte, so muß man doch in einem c o n st i t u t i o n e l l e n S t a a t e der Gesetz 
gebung dieses Recht bestreiten, umsomehr als die G e s ch i ch t e d e r M e d i z i n 
bis in die neueste Zeit nichts als eine Kette der verderblichsten 
Irrthümer darstellt und Hier nicht blos Geld, sondern nach dem Einge 
ständnisse der Impfer selbst und nach zahlreichen unbestreitbaren Beispielen 
Gesundheit und Leben auf dem Spiele stehen. Man sagt uns zwar, 
daß sich Unglücksfälle durch Vorsicht vermeiden lassen. Nun so strafe 
man unvorsichtige Impfer mit 10 Jahren Gefängniß und wir wollen sehen, ob 
ferner Jemand Lust hat, überhaupt zu impfen. Der medizinische Con- 
g r e ß i n W i e n hat den Beweis geliefert, daß selbst die Majorität der 
Aerzte, zu ihrer Ehre sei es gesagt, mögen sie auch sonst Anhänger der 
Impfung sein, doch vom Zwang nichts wissen will, da nicht blos Viele von 
den Anwesenden, wie Medizinalrath Günther in der Leipziger Zeitung be 
stätigte, sich als Gegner des Zwanges bei der Abstimmung neutral 
verhielten, sondern offenbar auch eine große Zahl von den 800 Theilnehmern, um 
sich allen etwaigen Versuchungen impffreundlicher Colleaen^LU-entziche«, ab 
sichtlich ferne blieb, sonst wäre die geringe ver Abstimmenden (300) in 
einer so wichtigen Frage^db^m-Men Platz auf dem Programm einnahm, 
in den Parlamenten liefern aber den traurigen Beweis, 
Klassen in medizinischen Dingen ohne jedes selbstständige 
Urtheil leicht jeder Charlatanerie zum Opfer fallen und daß etwas mehr Auf 
klärung in dieser Hinsicht dringend noth thut. Merkwürdiger Weise war es in 
Berlin gerade die liberale Partei, die doch sonst überall Humanität und freie 
Selbstbestimmung auf ihre Fahne geschrieben, welche hier dem Princip huldigend, 
die Leute auch gegen ihren Willen selig, das heißt gesund zu machen, sich von 
den Impfern mißbrauchen ließ, während Abgeordneter Reichensperger von 
der ultramontanen Partei mit seltenem Verständniß diese Frage erfaßte und 
mit ebensoviel Wärme als treffenden Argumenten die Doctoren Loewe, 
Zinn und Elben in die Enge trieb. 
Es geht ferner aus der Geschichte der Impfung, wie aller von Seite der 
Schule . zur Hintanhaltung von Epidemien in Vorschlag ' gebrachten Sanitäts 
maßregeln klar hervor, daß es von Seite des Staates ein großer Mißgriff 
ist, sich in dieser Angelegenheit ausschließlich an die Aerzte zu wenden, 
denn Hygieine und Heilkunst sind zwei verschiedene Dinge. „Was haben 
Heil-Aerzte und Receptschreiber mit der Hygieine zu thun", sagt Di-. Reich
	        
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