Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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aufhaltsam am Prozesse der Selbstvernichtung und von ihnen kann man mit 
Recht sagen: sie sterben nicht, sie todten sich! 
Ich komme zum zweiten Hauptfaktor der Naturheilkunde, der Luft. 
— Noch wichtiger als das, was wir essen, ist das, was wir athmen; 
leider frägt man heutzutage viel zu oft: was werden wir essen und nicht: was 
sollen wir athmen , um gesund zu bleiben oder gesund zu werden, und Viele 
sitzen lieber im dumpfen Bierhaus oder an der reichbesetzten tadle ä'döts, als 
im schönen Walde. Bei diesem Streben nach Genuß auf der einen Seite und 
bei der Sorglosigkeit auf der andern in Bezug auf Luft gehen aber zwei unserer 
wichtigsten Organe zu Grunde: der Magen und die Lungen. — In reiner 
Lust gehen alle unsere Lebcnsäußerungen gut von Statten, in schlechter aber 
nicht; denn durch den Zutritt von Sauerstoff zum Blute unseres Körpers wird 
dieser letztere belebt. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig . können wir 
mehr leisten, wenn wir frische Luft einathmen. Wie nervenkrank sind wir doch 
in unseren mit schlechter Luft verpesteten Wohn- und Schlafräumen , und wie 
glücklich fühlen wir uns hingegen in der herrlichen Waldluft. Man gehe nur 
in eine Fabrik, welche Hunderte von Arbeitern beschäftigt: welch elende, krank 
aussehende Wesen trifft man hier oft an, während die Landbewohner, w e l ch e 
den ganzen Tag im Freien arbeiten, sich einer herrlichen Gesundheit 
erfreuen. Man hat die schlechte Nahrung als Hauptursache der Scrophulose 
und der Blutarmuth anklagen wollen; ich behaupte, mit Unrecht; denn der 
Feldarbeiter ißt sicher weniger Fleisch als der Arbeiter in den großen Städten 
und doch — welcher Unterschied zwischen beiden. 
Nein, die schlechte Luft ist die Haupterzeugerin der Krankheiten, 
besonders des schlechten Blutes. Wenn ich z. B. von blutarmen, bleichsüchtigen 
Fabrikarbeiterinnen konsultirt werde, so verschreibe ich nichts anderes, als ein 
6- bis wöchentliches Austreten aus der Fabrik mit möglichst vielem Aufent 
halt und Bewegung in frischer Luft, regelmäßig vorgenommenen Tiefathmungen 
(s. Atmiatrie von vr. Paul Niemeyer, ein vortreffliches Buch), Schlafen 
beioffenem Fe n st er, sorgfältige Hautkultur mittelst Abwaschungen und 
Bädern; zur Nahrung: Milch, Obst, Gemüse und Grahambrod, weder Fleisch, 
noch Wein, noch Eisen, und nach einigen Wochen sind meist die erzielten 
Resultate höchst befriedigend. Zahlreiche Frauenkrankheiten entstehen schon 
allein durch das Einathmen schlechter Luft; dieselben werden am besten durch 
Luft- resp. Sonnenkuren bekämpft. In unserer Anstalt z. B. wird großes 
Gewicht darauf gelegt, daß nebst einer passenden Diät und Wasserbehandlung 
die blutarmen und nervösen Patienten stundenlang im Wald sich aufhalten 
oder auch sich recht von der Sonne durchwärmen lassen. Sogar Schwind 
süchtige vertragen auf's Beste eine solche Luft- und Sonnenkur, und warum 
sollte dem nicht also sein? Entsteht doch die Schwindsucht haupt 
sächlich in Folge der schlechten Luft, die wir einathmen; 
auch sagt ein sehr erfahrener Arzt: Schlechte Luft, schlechte Schlafzimmer, 
schlechte Wohnungen sind höchst wichtige Momente zur Erzeugung der Schwind 
sucht; die schlechte Luft begünstigt nämlich die Bildung der Krankheitskeime 
und die reine Luft zerstört sie durch ihren Sauerstoffgehalt. Bon allerhöchster 
Wichtigkeit ist die Luft in unsern Schlafzimmern d. h. in den Räumen, 
in denen der Mensch ungefähr den dritten Theil seines Lebens zubringt. Es 
ist unglaublich, wie viel in diesem Punkte gesündigt wird; als Arzt hat nian 
leider nur zu oft Gelegenheit sich davon zu überzeugen. Viele Schlafzimmer 
sind wahre Pesträume, Brutstätten für die Epidemien, die das Menschengeschlecht 
hinwcgraffen. Zunl Schlafraum wählt man gewöhnlich das schlechteste Zimmer
	        
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