Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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Was nun Müller etwas langathnüg über „Perlsucht" mittheilt, ist 
kurz Folgendes: 
Die Perlsucht ist schon seit langen Zeiten bekannt, sie entsteht ursprüng 
lich bei Rindern; „Franzosenkrankheit" wurde sie im vorigen Jahrhun 
dert genannt, weil man damals annahm, daß dieselbe mitZ>cr Syphilis der 
Menschen identisch sei, indem man folgerte, daß, wenn Syphilis oder Ve- 
nerie beim Menschen in Folge fleischlicher Vermischung (Hurerei) 
mit Thieren — worüber schon das alte Testament berichtet — entsteht, auch 
eine gleiche Erkrankung bei den von Menschen mißbrauchten Thieren ent 
stehen müsse und als solche sah man die Perlsucht an, weßhalb dann von 
den Behörden der Verkauf und Genuß des Fleisches solcher'Thiere strengstens 
verboten wurde. 
Diese „Identität der Perlsucht mit der Venerie" wurde später durch 
2 Männer wieder als irrthümlich erklärt; der erste war Physikus Heim, 
welcher 1782 au das Sanitätskollegium in Berlin berichtete, daß das Fleisch 
„französischer" Rinder unschädlich sei, indem die bei dieser Krankheit in 
der Brust- und Bauchhöhle der Thiere vorkommenden Knoten und Excres- 
cenzen, welche man bislang als die verkörperte Venerie angesehen und 
darum „Franzoscn-Geschwülste" getauft hatte, blos fibrinöse Exsudate seien, 
deren Entstehung ganz unschuldiger Natur und mit Venerie Nichts ge 
mein habe. Der zweite war Graumann, welcher in einer besonderen Abhand 
lung die Identität der Franzosenkrankheit mit der Venerie widerlegte, die 
Geschwülste für hydatidenartige Gebilde hielt, die zufällig (?) aus Säfteüberfluß ent 
stehen und weder aus einer Krankheit hervorgehen, noch eine Krankheit bilden, 
und daher das Fleisch solcher Rinder für ganz gesund und genießbar erklärte. 
Diese beiden Arbeiten gaben nun den Ausschlag dafür, daß die Ausnutzung 
perlsüchtiger Rinder in Preußen wieder gestattet und die dagegen lautenden 
Verbote am 26. Juli 1785 wieder aufgehoben wurden; andere Staaten folgten 
bald hinterher, so daß die Verordnungen gegen den Fleischgenuß perlsüchtiger 
Thiere mit Ende des 18. Jahrhunderts in allen Staaten Europas wieder 
außer Kraft gesetzt wurden! — 
Mit der Beseitigung der Ansicht über die Zugehörigkeit der Perlsucht zu 
der Syphilis war übrigens die wirkliche Natur der Seuche noch nicht auf 
geklärt, sie blieb vielmehr eine offene Frage, bis es in neuester Zeit dem M.- 
Rath Gerlach gelang, sowohl die Identität der Perlsucht mit der Tu 
berkulose, als auch das besondere Virus (Gift) in der Tuberkelmaterie, 
ferner die Identität der Tuberkulose des Menschen mit der der Thiere, 
sowie die Uebertragbarkeit der Tuberkelkrankheit der Thiere auf Menscheu 
nicht allein durch Einführung der Tuberkelmasse, sondern auch durch den Ge 
nuß des Fleisches und der Milch von tuberkelkranken Thieren experimen 
tell nachzuweisen und daraufhin den hygieinisch wichtigen Grundsatz aufzu 
stellen: 
Das Fleisch von tuberkulösen Thieren, besonders von pcrlsüchtigem 
Rindvieh (resp. Milch von perlsnchtigen Kühen), ist von der mellsch 
lichen Nahrung prinzipiell auszuschließen, um so mehr, als das Fleisch 
von den beiden Thiergattuugeu, Rindvieh und Schweinen, 
bei denen die Tuberkulose besonders häufig vorkommt, meist roh und 
halbroh genossen wird. 
Müller kalkulirt nun weiter, daß diese Gerlach'schen Fütterungsversuche 
auch auf das Gebiet der Aetiologie der Tuberkulose des Menschen geführt 
und eine neue Quelle dieser Krankheit eröffnet haben, von der man bis
	        
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