Volltext: Der Naturarzt 1871 (1871)

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der Pockenkranken enthalten sein, wofür einerseits der Umstand 
spricht, daß mit dem Inhalt der Pusteln andere Organismen erfolgreich 
angesteckt werden können und andererseits, daß Individuen ohne jegliche 
unmittelbare Berührung mit Pockenkranken daran erkranken. Es giebt 
nur ein Pockengift, von welchem sowohl die schwere Erkran 
kung (variola), als die leichte (variolois) entstehen; demnach kann die 
Verschiedenheit der Ansteckung nicht im Gifte selbst liegen, sondern 
muß in der größeren oder geringeren Empfänglichkeit oder 
Widerstandsfähigkeit des befallenen Individuums zu suchen sein. 
Diese Empfänglichkeit oder Widerstandsfähigkeit ist zu allen Zeiten 
bei verschiedenen Individuen eine ungleiche gewesen, der Art nämlich, 
daß: a) ein Theil gar keine Empfänglichkeit für —, also 
große Widerstandsfähigkeit gegen — das Pockengift hat, 
sich demselben keck aussetzen kann, ohne angesteckt zu werden; K) ein 
anderer Theil geringe Empfänglichkeit für —, also ziem 
liche Widerstandsfähigkeit gegen das Pockengist zeigt —, der 
Ansteckung zwar unterliegt, aber nur an leichteren Blatt er Ur 
formen erkrankt; c) ein dritter Theil bedeutende Em 
pfänglichkeit für —, also geringe Widerstandsfähigkeit 
gegen das Pockengift besitzt, demnach leicht angesteckt und von den 
schweren Formen befallen wird und denselben sehr oft erliegt. 
Diese dreifache Ansteckungsfähigkeit ist sehr wichtig für richtige 
Beurtheilung der gerühmten Jmmunitätswirkung der Impfung (Vac- 
cination) und Wiederholung der Impfung (Kevaeeinatlon), denn 
Klasse a würde auch ohne jegliche Impfung nicht angesteckt wor 
den sein und muß also von denr Prozentsatz der Jmpfwirkung total ge 
strichen werden; wer vermag aber mit Sicherheit zu beurtheilen, wie 
viele von den Geimpften und nicht Erkrankten zur Klasse a nicht ge 
hören ? Die Pocken verschonen kein Geschlecht, kein Alter, keinen Körper 
zustand, nicht Gesunde, nicht Kranke, und befallen selten ein Indivi 
duum zum zweiten mal in seinem Leben (nach Anderen ist dagegen, 
wer schon einmal die Blattern gehabt hat, nur wenige Jahre vor einer 
erneuten und dann gefährlicheren Pockenerkrankung geschützt!). Darauf 
gründete sich nun die Prophylaxis, d. h. die Vorbeugung oder Ver 
hütung der Menschenblattern durch Zufällige Ansteckung, indem man eine 
künstliche und absichtliche Üebertragung des Pockengiftes von der 
Pustel eines Pockenkranken auf einen Gesunden vornahm, wodurch, wie 
man kalkulirte, ein solch direkt, d. h. künstlich Gepockter oder 
Geimpfter einen Freipaß gegen die natürlichen Pocken erhalten habe, 
gegen welche man eben noch kein Heilmittel besaß und heute noch 
nicht besitzt. Dieses prophylaktische Verfahren der künstlichen Blattern 
erzeugung erschien um so mehr gerechtfertigt, als nach der Beobachtung 
die künstlich hervorgerufenen Pocken einen milderen unge
	        
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