Volltext: Der Naturarzt 1871 (1871)

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scheinbar Gesunde, wenn sie nur entfernt mit einem Choleraort. einem Kranken 
und dessen Ausleerungen in Berührung kommen konnten, mindestens für ebenso 
gefährlich hält, als vordem die Kranken selbst. Auch haben es Medizinal- 
kollegien und Sanitätsbehörden, wie Polizei seiner geistreichen 
Dreck-Theorie vor allem zu danken , daß sie wieder in s r e m den A n - 
g e r e i ft c n , mcht minder in Aborten und Nachtgeschirren, in b e- 
s ch m u z t e n He m d e n ober im Untergrund eines Hauses, einer Stadt, 
und im Masse r ihrer Brunnen die wesentliche specifische Ursache der 
Cholera suchen können, während alles Uebrige. sogar das Elend und die 
handgreiflichste Noth ihrer lieben Nebenmenschen im Vergleich zum 
Choleragist in jenen ersteren gar nichts oder nur sehr wenig damit zu thun hat. 
Und an den positivsten Versicherungen, daß alle diese so beruhigenden (?) An 
sichten auf unzweifelhaften Beweisen beruhen , ließ es wahrlich auch 
Pettenkofer nicht fehlen! Hatte derselbe doch die reichste Gelegenheit, 
den Choleraieuchen. großen wie kleinen, und in Barern wie anderwärts, mit 
einem auch durch Forschungen imb Arbeiten ganz anderer Art geschärften Blicke 
nachzuspüren und die Cholera sogar, wie Thucydides die Pest, am eige 
nen Leibe kennen zu lernen ! Nicht N-ne Grund gilt daher P e t t e n k o 's e r 
seinen Glaubensgenossen als erste Autorität des Tages in Bezug auf 
die Art der Entstehung und Verbreitung der Cholera wie 
ihrer Verhütungsmittel. 
Die neueste Fassung seiner Theorie selbst lautet aber ungefähr so: 
„Ein specifischer, noch unbekannter Stoff, ein Gift oder 
Ferment, ist die Ursache der Cholera; dieser verbreitet sich nur 
durch den Menschenverkehr, und nie ohne diesen, nicht aber 
durch Ansteckung im gewöhnlichen Sinne, d. h. durch Berüh 
rung mit Kranken, wie man sonst meinte, auch nicht durch ihre 
frischen Excremente. Vielmehr liefern die Kranken, auch ein 
fach Diarrhöische, ja sogar alle in einem Choleraort Lebende, 
zwar die Giftkeime in ihren Excrementen; diese Cholerakeime 
redoch können nicht schon an und für sich Cholera bewirken, 
sondern erst nach gewissen Veränderungen, nach einer Art Gäh- 
rung in einem hierfür günstigen Boden ! Ein solcher Boden 
aber muß porös sein, die Produkte organischer Zersetzung, be 
sonders von Excrementen enthalten, und in einer nicht be 
trächtlichen Tiefe Grundwasser haben. Am empfänglichsten 
für's Choleragift ist aber ein solcher Boden, ein solcher Ort 
zu der Zeit, wo das sogenannte Grundwasser im Erdreich drunten 
von einer zuvor ungewöhnlichen Höhe zu einem ebenso ungewöhn 
lich tiefen Stand zurückgekehrt rst (sog. negative Schwankung 
des Grundwassers)!" 
Deshalb heryl bie)eTheorie Pettenkojers oft auch — Gährungs- 
th e o ri e. — Weil aber, um es kurz, wenn auch minder schön zu sagen, Koth 
der Kranken die unzweifelhafte Basis oder das Material fürs sprossende Cho- 
leragist drin abgiebt, Gährung dagegen einstweilen nur den hypothetischen Pro- 
zeß/der dasselbe ausbrüten soll, so ist der Name „Koththeorie" bezeichnender, 
desgleichen die Bezeichnung ihrer Anhänger als Kothisten! 
Ein weiteres Verdienst in den Augen Vieler erwarb sich Pettenkofer 
mit seiner Koththeorie dadurch, daß dieselbe in gewisiem Umfange die frühern 
Ansichten sowohl der C o n t a g i o n i ste n als I n f e c t r o n i st e n oder 
M i a s m a t i k e r und E p i d e m i c t ft e n in sich aufnahm und ver 
schmolz, dadurch aber auch den alten Zwiespalt zu nicht geringer Befriedigung 
Aller beseitigte, die Choleradreieinigkeit herstellte!!
	        
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