Volltext: Der Naturarzt 1871 (1871)

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Epistel nicht lieben, Manche auch keine Zeit zu ihrer Lesung haben, so 
will ich ihnen der 115 Seiten langen Abhandlung kurzen Sinn mit 
Nachstehenden: mittheilen, was dann vielleicht Manchen bewegen dürfte, 
sie nachträglich doch noch von Anfang bis zu Ende selbst zu lesen, sicher 
ohne es zu bereuen! — 
Nach Oesterlen waren die drei Hauptansichten der Aerzte über Existenz 
und Verbreitung eines Choleragis.tes, welche früher cour- 
sirten, folgende: 
a) Cholera verbreitet oder überträgt sich durch die Kranken selbst und die sie 
umgebende Lust, ihre Ausdünstung, Effekten, Wäsche rc.; das waren die Eon- 
tag io nisten; 
b) unabhängig von diesen durch den weiten Luftkreis, welcher z. B. ein 
sogenanntes L u f t g i f t (miasma) enthalten könnte; das waren die In - 
f e c t i o n i st e n ; 
e) durch besondere a t m o s p h ä r i s ch e- Einflüsse, eine eigenthümliche epi 
demische Constitution der Luft; — die E p i d e m i c i st e n. 
Jede dieser drei Parteien behauptete, ihre Ansichten beruhen auf unzweifel 
haften festgestellten Thatsachen — einfach, weil jede Alles so deutete, wie es ihr 
gerade zusagte und jede bekämpfte die Ansicht der andern, da alle drei natürlich 
doch nicht Recht haben konnten. Man erkannte indessen doch an, daß jede An 
sicht Etwas für sich und Etwas gegen sich habe und so kanr es zu 
letzt, daß man Angesichts der mehr und mehr sich häufenden Thatsachen, welche 
jeder Ansteckungs - oder Vergiftungsidee widersprachen, zu 
letzt es für das Vernünftigste hielt: ..auch bei Cholera ein Erkranken 
in Folge gewöhnlicher Ursachen statt jenen specifisch- 
mystischen a n z u n e h in e li." 
Diese richtigere Anschauung machte indessen bald wieder einer neuen Auf 
lage des alten Giftglaubens Platz und zwar ist dieselbe ein Produkt brittischen 
Scharfsinnes, indem W. Budd zuerst die Idee aussprach: daß Cholera 
wie Typbus mittel st der Ausleerungen der Kranken, auch 
einfach D i a r r h ö i s ch e r, sich verbreite. Diesem närrischen Budd 
folgte der noch närrischere I S n o w , welcher hauptsächlich dem durch Aus 
leerungen verunreinigten Trinkwasser die Schuld zuschrieb, und zwar auch 
in so entfernter Weise, daß unser Oesterlen sich nicht enthalten kann, auszurufen: 
„Und m i t s o l ch e n A n s i ch t e n , welche l ä n g st in der Rum p e l * 
k a m mer der ohnedieß sehr traurigen Geschichte der Medizin 
vergraben schienen, muß sich unsereins n o d) heutigen 
Tages herumbalgen!!! (Merke Dir das, lieber Leser und emancipire Dich 
mehr und mehr von dem Glauben an die Unfehlbarkeit der Mediziner! Die Red.) 
Von England aus gelangte diese neueste kothige Cholera gist- 
lehre nun auch nach Deutschland und fand da leider in dem Hirne eines 
Münchner Professors, des vr. Pettenkofer, einen günstigen 
Boden, wo dieses närrische englische Kothsaamenkorn mit ächt deutscher, eines 
bessern Gegenstandes würdigen Gründlichkeit und Liebe gepflegt und gehegt 
wurde, bis der medizinische Cholerababelthurm fertig und die vielen 
dem Glauben an Ansteckttng widersprechenden Thatsachen aller- 
gesunden Vernunft z u m H o h n e mit dieser verrückten K o t h - I d e e 
in scheinbaren Einklang gebracht und so ein wahres Meisterstück mensch 
lichen, besser gesagt: medizinischen Irrwahns geliefert war! t 
Ihm, dem Gelehrten Pettenkofer, diesem Manne der Wissenschaft, 
haben Aerzte wie Publikum es zu danken, daß man jetzt Gesunde, oder doch
	        
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