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lassen, den Mittel- und Sammelpunkt derselben aufrecht zu erhalten:
der „Naturarzt“ war seinen Lesern eine liebgewordene Erschei—⸗
nung, ein Bedürfniß gegenseitigen Meinungs- und Gedankenaus—
tausches den Einen und ein freundlicher und gar oft sehr will—
kommener ärztlicher Rathgeber in gesunden und kranken Tagen den
Andern geworden. Im Weiteren jedoch wollte der Naturarzt ferner—⸗
hin mehr noch wie bisher der Besprechung der Gesundheitspflege
seine Spalten widmen. Nach zwanzigjähriger Praxis auf dem Felde
naturgemäßer Heilweise hatten wir mehr und mehr erkannt, daß der
Arzt den Kranken gegenüber, in der Bekämpfung und Heilung ihrer
Krankheiten meist schwach und wehrlos ist, weniger allerdings den
Krankheiten selbst, als vielmehr nur den Kranken gegenüber, an und
in welchen sie zur Aeußerung und Darlebung kommen: die Kranken
möchten und wollten und könnten wohl gesund werden, aber
sie können es nicht, weil sie es in Wahrheit gar nicht mögen,
gar nicht wollen. Sie halten den Arzt, auch sogar noch den „Na—
turarzt“ für einen Zauberer oder wenigstens doch für einen Hohe—
priester der Gesundheit, auf dessen allgewaltigen priesterlichen Macht—
spruch: Recipe!s) der Bann der Krankheit alsobald gelöst ist, auf
dessen Verordnung hin die Krankheitszeichen sofort schweigen, ja un—
bedingt sofort schweigen müssen. Geschieht solches nicht, so sind Arzt
und Heilweise in Kurzem gleich vertrauens- wie werthlos auf Seite
geschoben. Mit einem Worte: die Kranken sehen das Heil für ihre
Leiden, sie sehen ihre Gesundung noch immer nicht in und mit ihnen
selbst, mit ihrem eigenen Leibe und den in ihm waltenden Natur—
gesetzen, sondern in des Arztes Verordnungen und Mitteln wie in
einer Art Nürnberger Trichter gegeben. Die Gesundung soll nicht
von Innen heraus, durch eigenes Darzuthun, durch selbsteigenes Stre—
ben und Kämpfen grundsätzlich und naturgesetzlich erworben und ver—
dient, sondern in aller Bequemlichkeit, ohne Kampf und ohne Mühe, im
Nothfall für Geld, selbst für viel Geld und mit Aufopferung selbst von
etwas Zeit, am liebsten aber umsonst und von heute auf morgen oder
sogleich zur Stunde auf einem Präsentirteller ehrerbietigst entgegen
getragen werden. Solchem Glauben und Aberglauben wollten wir
vor Allem mehr als es im „Naturarzt“ vorher geschehen, entgegen
treten. Wir wollten unsere Kranken und Leser freier und selbststän—
diger machen, wir wollten, daß fie mehr und mehr in allen ärztlichen
7) Wörtlich übersetzt: „Nimm!“; das Wort, mit welchem die Mediziner
ihre lateinisch geschriebenen Verordnungen (GRezepte) einleiten.