Volltext: Der Naturarzt 1870 (1870)

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in der Medizinheilkunde sprach sich vor einigen FJahren mündlich über 
die von ihm vertretene Kunst aus: „Mit dem Heilen stehen wir noch 
am alten Platze, da sieht es noch bös aus: wenn es die Natur 
nicht selber thut, was können wir denn mit unserm 
Arzneikram heilen? Da hat mir kürzlich Professor X. (Tröltsch?) 
ein wunderschönes Buch mit Abbildungen über Ohrenkrankheiten zu— 
geschickt. Alles über die Krankheiten ist wundervoll erörtert; wenn 
man aber an's Heilen kommt, da sieht es windig aus.“ 
Mehr Gesundheilspflege, weniger Heilkunde. Wir liehen diesem 
Wunsche schon vor fast 20 Jahren in unserm „Sündenregister der 
Medizinheilkunde“ (Leipzig, Magazin für Literatur, 1850, Preis 
/2 Thlr.) in der sechsten Todsünde warmberedte Worte. Wir wur— 
den nur von Wenigen gehört, von noch Wenigern wurde solchem 
Wunsche Nachachtung geschenkt. Wenige Jahre nach uns trat dann 
Dr. med. Oesterlen, der bekannte Verfasser zahlreicher medizinischer 
Schriften, mit seinem großeu Werke „Handbuch der Hygieine (zweite 
Auflage 1867) auf und sprach darin die zwei denkwürdigen Worte, 
deren erstes: „Insofern die Hygieine ihre wissenschaftlichen Ergebnisse 
und Lehren auch zur Wiederherstellung der Gesundheit verwendet wissen 
will, kann sie als Rivalin (Nebenbuhlerin) der Heilmittellehre gelten, 
und zwar als eine, deren künftiger Sieg kaum zweifelhaft 
scheint. Ja, sie ist in gewissem Sinne die Gegenfüßlerin der ganzen 
Medizin, weil sie den Menschen gesund erhalten will und gesund er— 
halten kann“ — und deren anderes: „Bedenken wir, wie gerade 
die verderblichsten Krankheiten und Seuchen sich wohl verhüten, 
nicht aber heilen lassen, wie unsere Heilkunde mit all' ihren von 
Alters her überkommenen Arzneien jenen Leiden gegenüber nur 
eine großartige Pfuscherin ist, so werden wir uns überzeugen, 
daß vor Allem die Aerzte selbst aus ihrer fast habituell 
(zur Gewohnheit, zu Brauch und Sitte) gewordenen Unkenntniß 
der Hygieine heraustreten müssen, wollen sie anders Das— 
jenige leisten, wozu ihr Beruf, ihr Titel sie verpflichtet.“ 
Dr. Oesterlen wagte dann einige weitere Jahre später (18509) 
mit einer „Zeitschrift für Hygieine“ (H. Laupp, Tuüͤbingen) den Sinn 
für hygieinische Bestrebungen der Aerzte zu wecken und auszubilden; 
aber er predigte noch tauben Ohren — sein vorzüglich geschriebenes, 
vom edelsten und tüchtigsten Sinne getragenes Blatt mußte bald wie— 
der, wegen Ueberfluß an Abonnenten-Mangel, richtiger wohl wegen 
Ueberfluß an Mittel- und Arzneien-Glauben und ⸗Aberglauben ein— 
gehen.
	        
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