Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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und andere Reizmittel überreizten Magen die mildere 
Milch Beschwerden machen und weniger leicht verdaulich 
erscheinen, als der reizende, die Magenthätigkeit gleich einer 
Peitsche aufstachelnde Käse; das ist aber nur äußerst seltene 
Ausnahme, und sodann ist es eben nur Schein. In 
Wahrheit wird nach wenigen Tagen entsprechender Diät 
und Behandlung selbst von so heruntergekommenen Mä— 
gen die Milch leicht verdaut. Ich spreche solches auf 
Grund zwanzigjähriger Erfahrung, auf Grund an Tau— 
senden von Kranken geübter naturgemäßer Heil- und Nähr⸗ 
weise aus. 
Zweitens sagt unser Professor in diesen Sätzen, wenige 
Seiten auseinander einmal, daß die zu genießende Fleisch— 
brühe zwar kräftig, aber mäßig fett sein müsse, und 
das andere mal soll sie auch ziemlich concentrirt und — 
gehörig fetthaltig sein, um ordentlich nähren zu kön— 
nen! Reime mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der 
Natur! 
Zu den verkehrten diätetischen Ansichten Professor 
Bock's übergehend, ist zunächst zu berichtigen, daß das 
Fleisch durchaus nicht leicht verdaulich sei. Es ist eben 
nicht bloß Nährmittel, sondern für den menschlichen Or— 
ganismus und in erster Linie für den menschlichen Magen 
im hohen Grade ein Reizmittel. Wir verweisen in Be— 
zug hierauf auf das im Jahrg. 1867 des „Naturarzt“ 
Nr. 12, S. 95 und Folgende, sowie des Herausgebers 
„Naturgemäßer Diät“ u. a. O. Gesagte. Das Fleisch ver— 
läßt zwar ziemlich rasch den Magen, etwa so rasch wie 
alle andern gebräuchlichen Nahrungsmittel, je nach Art 
und Form, in welcher es genossen wird, aber — zum 
größten Theile unverdaut und nach großer Schädigung, 
Reizung und Röthung der Magenschleimhaut (Vergl. Na— 
turarzt 1867, S. 95, 96 und 97, wo die Ergebnisse der 
Forschungen Bidder's, Schmidt's und Donder's mit— 
getheilt worden). 
Ein weiterer Unsinn Prof. Bock's ist der, daß er 
meint, die Nahrung werde dann um so leichter verdaut, 
wenn man sie in flüssiger oder dünnbreiiger Form genießt. 
Es verhält sich aus doppelter Ursache nicht also, sondern 
umgekehrt. Erstens nämlich gesteht Prof. Bock in einem 
späteren Satze selbst zu, daß Alles besser verdaut werde, 
was zuvor tüchtig zerkaut und darum mit den zersetzenden 
und lösenden Mundflüssigkeiten eingeweicht und einge— 
speichelt sei. Sodann — und dies ist das noch bei Weitem 
Schlimmere — verdaut der Magen Alles das, was ihm 
hereits dünnflüssig und löslich überantwortet wird (in 
Form von Suppen, Brühen, Getränken) gar nicht, sondern 
spedirt es, ungekaut und unverdaut, unzersetzt, unchymi⸗ 
fizirt und noch weniger unchylifizirt (nicht zu Speisebrei 
und Speisesaft verarbeitet), direct durch die aufsaugenden 
Magenwand-Blutgefäße in den allgemeinen Blutkreislauf 
hinüber. Man kann sich denken, wie solcherweise die ge— 
gessene Fleischbrühe ein rohes, unorganisirtes, unmenschli⸗ 
ches, thierisches, leicht reiz- und erregbares Blut geben 
muß, und wie solch beschaffenes Blut in nächster Linie 
Hirn und Nerven nachtheilig beeinflussen wird. Ein wei— 
terer diätetischer Unsinn Prof. Bock's ist der, wenn er 
behauptet, die Milch werde leichter verdaut, wenn man 
sie etwas verdünnt trinke. Herr Prof. Bock hat jeden— 
falls nur mit Kaffe, Bier und Wein ausgelaugte, mit 
Käse, Fleisch, Gewürzen und Tabak ausgebeizte Stadt- 
mägen je und je unter seiner Beobachtung gehabt und 
es ist ihm darum jegliche vorurtheilsfreie, natürliche An— 
schauung der menschlichen Organisation abhanden gekom— 
men. Wir sind der Meinung, daß die Natur der Mut— 
terbrust die Milch gerade in einer solch flüssigen Zusam— 
mensetzung zuweist, wie sie für die Organisation des klei— 
nen menschlichen Säuglingsmagens angemessen ist; und 
wir sind weiter der Meinung, weil dem Säugling später 
die Zähne wachsen und seine Organisation nun nicht mehr 
für ausschließliche Milchnahrung, sondern für kaubare 
Brod- und Obstnahrung paßt, daß die Milch alsdann eher 
eine zu dünne als eine zu dickflüssige Nahrung für ihn 
geworden sei. Hr. Prof. Bock freilich meint umgekehrt. 
Mögte er nicht einmal, wie jener Mann, der auch den 
lieben Gott schulmeistern wollte, sich unter einer Eiche 
lagern und — aufgeschreckt durch den Fall einer Eichel 
auf seine Nase, von dem Gedanken zurückkommen, daß die 
große Kürbis besser auf einer Eiche, als an schwachen 
Erdkriechenden Ranken gereift wäre? — mögte er, ferner— 
hin naturforschernd, sich nicht demüthig darein ergeben, 
daß es besser und richtiger sei, den Menfchen seiner innern 
und Gottgegebenen Natur anzupassen, als umgekehrt Na— 
tur und Naturgesetze allüberall nach dem vielgestaltenden, 
phantasiereichen, oft irrenden und strauchelnden Menschen⸗ 
hirn umzumodeln? 
Gleichen Unsinn, gleiches Gottschulmeistern wollen ent— 
hält sein diätetischer Rath für Kranke, daß sie kein Schwarz— 
brod und kein Obst essen sollen. Ich umgekehrt heile alle 
meine Kranken, und ganz besonders die schweren Magen— 
kranken vorzugsweise unter Beobachtung einer Nährweise, 
bestehend aus Schwarzbrod und Obst, schon seit Jahren, 
schon seit Jahrzehenden! (Vergl. hierzu Nr. 11 -16 des 
vorigen Jahrgangs d. Bl.) Solche Thatsache spricht bün— 
dig gegen Bock's blos theoretisch gefaßte Annahme. 
Auf gleiche Verkennung aller diätetischen Ur- und 
Grundgesetze läuft auch Bock's Rath für sehr kranke Mä— 
gen hinaus, Fleischextract zu essen. Die Gründe, die uns 
in dieser Behauptung führen, sind in dem Vorhergehenden 
schon entwickelt. Fleischextract rührt ja von Fleisch her 
und theilt also alle nachtheiligen, reizenden und überrei— 
zenden Wirkungen desselben auf die kranken, schon über— 
reizten Magenwände, und zwar bei so concentrirter Form 
in doppeltem und dreifachem Grade. Und Fleischextract 
ist weiter eine schon gelösstte Nahrungsform, die nichts 
weniger als geeignet ist, die schon ganz gesunkene Ver— 
dauungskraft wieder neu zu beleben, anzuregen, zu kräf— 
tigen. Ein von lauter Hafer und Unthätigkeit, übermü— 
thig, träge, matt und lahm gewordenes Kutschenpferd macht 
man nicht wieder arbeitslustig und arbeitskräftig, wenn 
man es fernerhin noch mehr schont, als je vorher, sondern 
indem man es zäumt und zügelt und nach und nach vor 
Pflug und Lastwagen spannt. 
Bock's Rath für Fettleibige (8. 103 der angegeb. 
Schrift) entspringt aus dem fixen Wahn, in welchen sich 
unsre heutigen Kraft- und Stoff-Naturforschler verrannt 
haben, als sei der menschliche Organimus nichts weiter, 
als ein chemisches Laboratorium, sein Magen eine Retorte, 
seine Lunge ein Dampfapparat, seine Nieren ein Reagens— 
glas. O, ihr Thoren und Kleingläubigen! Kommt hier⸗ 
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