Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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„wirkt beim chronischen Magengeschwür der kurgemäße 
Gebrauch der kohlensauren Alkalien, namentlich die Brun— 
nenkuren in MarienbadJund, Karlsbad. Die Verordnung 
derselben und die ausschließliche Milchdiät ist 
das Verfahren, welches bei der Behandlung des Magen— 
geschwürs das meiste Vertrauen verdient “· 
Reihen wir hieran zugleich den Ausspruch eines an— 
deren namhaften Mediciners der neueren sog. rationellen 
physilogischen Schule, des Geh. Medicinalrathes, ordentl. 
Professors, Ritters, Directors und Doctors der Medicin, 
Wunderlich in Leipzif;:— 
1. „Die größte Berücksichtigung bei der Behandlung des 
Magengeschwürs verdient die Diät. 
Sie muß im Allgemeinen mild sein und besteht am 
geeignetsten aus Milch. .* 
Bald wird thierwarme, bald kalte Milch besser er— 
tragen, 
bald ist ein Zusatz von kohlensauren Salzen uöthig. 
Indessen darf auf der Milchdiät nicht zu sehr be— 
standen werden, falls sie Beschwerden macht, und bei 
keiner Krankheit muß mehr als bei dieser nach den 
individuellen Erfahrungen des Kranken die Kost an— 
geordnet werden. Manche ertragen nur Früchte, an— 
dere nur dünne Brühe oder das mildeste Fleisch. 
Für Viele sind aber diese scheinbar passendsten Sub— 
stanzen völlig unverdaulich und man kann Kranke 
treffen, die sich Monate lang mit Eiern ernähren, 
andere, die nichts als Rauchfleisch, gesalzene Fische 
und dergleichen genießen, und manche finden das, 
wovon sie Wochenlang allein sich ernährten, später 
ungenießbar und fallen nach langen Versuchen auf 
ein anderes, ebenso unerwartetes Nahrungsmittel. 
Diesen Eigenthümlichkeiten muß volle Gewährung zu 
Theil werden; nur ist das Maaß der Speisen ge— 
hörig zu überwachen und in der Zeit der Verdauung 
dem Körper Ruhe zu gönnen. Heftige Körperbewegun— 
gen, geistige Anstrengungen und Gemüthsaffecte sind 
ebenso verderblich, als eine mäßige tägliche Bewegung 
des Körpers, Zerstreuung und Ableitung des Geistes 
und Gemüthes nützlich ist. Warme und trockne Luft 
scheint der Heilung förderlich zu sein und fleißiger Ge— 
brauch warmer Bäder sie gleichfalls zu unterstützen. 
Sorge für täglichen Stuhl schafft mindestens eine be— 
trächtliche Erleichterung; doch müssen die Mittel hierzu 
milde sein und werden besser in Klystierform als 
durch den Magen beigebracht. — Bei schmerzhaften 
Exacerbationen (einzelne Schmerzenszufälle höheren 
Grades) sind örtliche Blutentziehungen zu appliciren, 
warme Ueberschläge zu machen, Senfteige auf die 
Hüfte und Waden zu legen; es ist in heftigen An— 
fällen innerlich Eis anzuwenden und die Diät noch 
mehr als gewöhnlich zu beschränken. Dünnflüssiger 
Schleim und bei großem Durst kohlensäurehaltiges 
Wasser mit Milch dürfen bei solchen Exacerbationen 
die einzigen Nahrungsmittel sein.“ I 
„Der Nutzen der Arzneimittel gegen das Magen— 
geschwür ist problematisch (zweifelhaft, unsicher); 
indessen scheint ein mäßiger und verständiger Ge— 
brauch der Narkotika (Betäubungsmittel — Blau— 
säure, Morphium) die Empfindlichkeit des Magens 
10. 
1. 
12. 
13. 
vortheilhaft zu beschränken. Auch das Zink, das 
salpetersaure Bismuthoxyd und das salpetersaure 
Silber sind oft von entschiedenem Vottheile, und 
das Calomel, das essigsaure Blei, der Alaun ver— 
dienen bei hartnäckigen Fällen versucht zu werden. 
Kohlensaure Mineralwässer mit sehr schwachem Eisen— 
gehalte sind bei nicht zu empfindlichem Magen nütz— 
lich. Jacksch empfiehlt die milderen Quellen von 
Karlsbad in dieser Krankheit.“ 
Nicht ohne besonderen Grund haben wir hier die 
Therapeutik eines heutigen Tages berühmten Arztes und 
Klinikers bei dem uns vorliegenden Leiden ausführlich 
angerufen. Giebt sie uns doch ein so unendlich klägliches 
Bild von dem Stande der heutigen medicinischen Wissen— 
schaft, die sich rühmt, rationell, vernünftig, physiologisch, 
naturwissenschaftlich, naturgemäß zu sein. Neben einzelnen 
vahrhaft naturgemäßen, gut durchdachten, der Natur des 
Uebels genau und zweckmäßig angepaßten Anordnungen 
inden wir da die Mittel des krassesten Receptenkleckser— 
hums, der schroffsten Medikasterei, der rohesten Empirie 
Erfahrung, Probiererei). Sondern wir die ersteren von 
den letzteren und beleuchten wir die einen wie die anderen 
mit dem Lichte wahrer, vorurtheils- und aberglaubens— 
freier Wissenschaft. 
Wir sahen oben, daß nach den Forschungen der Ana— 
omen sowohl ein Reizzustand der Schleim- und Magen— 
aftdrüsen wie der Blutgefässe der Magenwandungen dem 
Magengeschwüre zu Grunde liegt. Beide Reizzustände aber 
iegen auch dem chronischen Magencatarrh zu Grunde, 
ind wie bei diesem kommen sie bei jenem in Folge von 
diätetischen Verkehrtheiten zu Stande. Unterftützt wird 
das Zustandekommen des Catarrhs wie des Geschwürs 
elbstverständlich nebenbei noch durch allgemeine diätetische 
Verkehrtheiten, sitzende Lebens- und enge, den Magen ein— 
schnürende Bekleidungsweise (weshalb dies Leiden auch 
am häufigsten beim weiblichen Geschlechte beobachtet wird), 
zurch allgemein schwächende und erschöpfende Einflüsse jeg— 
icher Art. 
Als erste Heilbedingung steht drum obenan: strengst 
naturgemäße, reizlose, einfache Diät, die von der zweiten: 
Erstellung sämmtlicher übrigen Lebensbedingungen in na— 
turgemäßester Weise unterstützt sein muß. Beiden Be— 
dingungen sucht auch die oben angerufene Behandlung 
der rationellen Medicin in erster Linie gerecht zu werden 
S. o. Sätze 1, 2, 3, 8, 9 u. 10), da hingegen bleibt 
sie uns sicher jede vernünftige, wissenschaftliche, natur— 
gesetzliche Rechtfertigung der Verordnung von kohlensauren 
Salzen schuldig, und letztere könnte einzig einfach symp— 
omatisch oder roh empirisch beschönigt werden. Der Satz 
bhat nur sehr relative Geltung. Erweist sich die Milch— 
diät in Wahrheit als in der Mehrzahl der Fälle äußerst 
ersprießlich und gerade in den schlimmsten Fällen als 
einzige und letzte Zuflucht, so hat der Arzt zu erforschen, 
warum vielleicht in einzelnen Ausnahmsfällen von dem 
Magen die Milch nicht gut aufgenommen und verdaut 
werden will und unter entsprechenden Maßnahmen diesen 
Magen nach und nach und zwar entschieden und mit aller 
Ausdauer an die Milchdiät zu gewöhnen. In diesen 
Fällen liegt eben unbedingt neben dem chronischen Magen⸗ 
geschwür ein höherer Grad von Magencatarrh vor, der
	        
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