Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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Güte, bald mit Strenge. Alle Tugenden, zu denen 
die Kinder herangebildet werden und deren sie mit der 
Zeit fähig sind, wie Arbeitsamkeit, Reinlichkeit, Sittsam— 
keit, Ordnungsliebe, Ehrliebe, Nächstenliebe u. s. w. müssen 
dem nur noch mit kindlichen Verstandeskräften ausgestat— 
teten geistig Verarmten beigebracht werden, mit denselben 
Mitteln, die man eben wirklichen Kindern gegenüber an— 
wendet. Ist aber der Irre bis zum Thier entartet, so 
muß er aus einem wilden, reißenden Thiere zunächst in 
ein zahmes umgewandelt werden. Rohheit und unnütze 
Quälerei ist bei dieser Dressur ausgeschlossen. Beispiele 
der neueren Zeit zeigen uns, daß Löwen und Tiger so— 
wohl, wie starrköpfige, bis dahin unbezwingliche Rosse 
rascher und williger dem Herrn der Schöpfung folgen, 
wenn sie eine gemäßigte Strenge erfahren, als durch ein— 
brmige, conseguente Gewalt Wer deig, ob sich micht 
noch mit der Zeit ein Rarey oder Bathy für die tob— 
süchtigen und eisernen Trotz bietenden Creaturen der Ir— 
renhäuser findet. Körperliche Züchtigungen sind unbedingt 
zu verwerfen, dagegen sah ich von Anwendung der kalten 
Douche die besten Erfolge, wenn es galt, den Kranken 
die für die Heilung unbedingt nothwendige Ueber— 
zeugung beizubringen, daß er sich den Vorschriften und 
den Anordnungen des Arztes fügen und dessen Willen sich 
unterordnen müsse.*) Die Heilung wird ohne diese Ein— 
sicht seitens des Patienten ganz unendlich erschwert und 
in die Länge gezogen. Alle prächtigen, luxuriösen Vor— 
kehrungen, alle Einrichtungen für den Comfort, auf den 
jetzt in den großen Privatetablissements große Summen 
oerwendet werden, Billardsäle, Concert- und Conversa— 
tionszimmer verfehlen ihren Zweck und sind leicht ent— 
behrlich, wenn sie nicht fügsamen, den Worten des Arztes 
zugänglichen Bewohnern angehören. Diesen Gehorsam 
durch gütige, belehrende, schöonende Worte und durch Un— 
terweisung herbeizuführen, gelingt in den seltensten Fällen; 
in den meisten aber erfüllt sich vielmehr der Ausspruch 
eines früheren weimarischen Ministers, welcher zu sagen 
pflegte: „Krebsschäden heilt man nicht mit Rosenwasser.“ 
Dies auf die Behandlung der Geisteskranken angewendet, 
wird heißen: „Humanität ohne gleichzeitige Energie führt 
zu keinem Resultate.“ Die Energie aber blos in Worten 
reicht eben nicht aus, und da ist denn, wie gesagt, ein 
passendes Unterstützungsmittel die unfreiwillige kalte 
Begießung oder Douche. (Man sehe des Herausgebers 
letzte und die beiden folgenden Noten.) Ich habe sie bei 
Hunderten von Kranken anwenden sehen, nie ohne Nach— 
theil für ihr physisches, wohl aber mit großem oft über— 
raschendem Vortheil für ihr geistiges und namentlich sitt— 
liches Wohl. Dieselbe, von einem tüchtigen Psychiater, 
dessen Namen mir eben entfallen, mit dem bezeichnenden 
Ausdruck: psychische Ohrfeige **) belegt, besteht darin, daß 
der Kranke entkleidet in ein warmes Bad gebracht wird, 
über welchem ein Deckel mit einem Ausschnitt für den 
*) Wir kommen auf die Douche in unserm Nachwort zu sprechen. 
Der Herausgeber. 
, **) Wir geben zu, daß in der Pädiatrik eine tüchtige Ohrfeige 
einem unerzogenen Buben bisweilen ein, ganz unerläßliches Ding 
ist; ob aber die Douche nicht mehr als eine bloße Ohrfeige für die 
freilich oft sich kindisch geberdenden Irren ist, werden wir später 
sehen. Der Herausgeber. 
Kopf sich anschließt. Durch den Zug an einer Schnur 
vird nun der Kopf beliebig lange einem kalten Wasser— 
strahl aus gewisser Höhe ausgesetzt. Ich glaube nicht, 
daß es nur der Schreck oder die allgemeine Aufregung 
des Gemüthes ist, welche eine wohlthätige Umstimmung 
hervorruft; oft wird die Douche als wirkliches, kräftigstes 
»ntzündungswidriges Mittel ihren Einfluß geltend machen. 
Ich schließe dies unter Anderem daraus, daß manche 
Kranke in ihrem gesunden Heilinstinkt darum baten, man 
nöge sie jener für die Meisten in verhaßtem Andenken 
tehenden Procedur preisgeben; so z. B. eine an periodi— 
scher Manie Leidende, welche stets in ihrem Anfall einen 
hochrothen Kopf bekam und sich dann heulend und in 
Extase zur Erde warf. Für sie war das kalte Sturzbad 
ein wahres Bedürfniß. 
Esquirol rühmt die lang fortgesetzte Wirkung des 
Eises. „Sie beruhigt den Kopfschmerz und die Wuth, die 
den Aderlässen, den allgemeinen Bädern und der Douche 
viderstanden. Das Eis ist besonders im Anfang der 
Manie nützlich, wenn Hitze und Röthe des Gesichts Ge— 
hirncongestion ahnen lassen. Die Anwendung nützt um 
so mehr, wenn die Füße des Kranken in sehr warmes 
Wasser gesetzt oder mit einem reizenden Kataplasma um—⸗ 
geben sind. *) 
Hufeland hält das kalte Wasser in großen Mengen 
getrunken (stündlich ein Glas) für ein Mittel gegen die 
Manie. Theden trank täglich 24 —30 Pfund. Man 
hat besonders dieses Mittel gegen den Selbstmord ange— 
rathen. U 
Sehr bedeutsam für die Heilkraft der Douche scheint 
mir die weitere Bemerkung Esquirol's: „Die kalten 
Begießungen wirken theils tonisch (stärkend, aufregend), 
theils dadurch, daß sie eine heilsame, fieberhafte 
Reaction hervorrufen.“ Zur Erklärung dieser wich— 
igen Thatsache muß man sich veranschaulichen, was die 
Therapie unter der Méthode substituante versteht. In 
der Augenheilkunde kommt es vor, daß man durch Aetz— 
mittel (1) eine schleichende Entzündung in eine hitzige 
derwandelt. An die Stelle des früheren trägen tritt jetzt 
zine zwar momentan heftigere, aber deshalb auch von 
kräftigerer Reaction seitens des Organismus begleitete 
Entzündung. So nun sieht man auch zuweilen bei Ge— 
hirn- (Geistes-) Krankheiten mit chronischem Character 
nach Anwendung der Douche eine einfallende Fieberkrank— 
heit mit akutem Character das ursprüngliche Uebel til— 
gen. *5) Vielleicht gehört hierher noch die folgende 
Mittheilung Esquirol's: „Ich sah mehrmals durch die 
Anwendung eines bloßen Blasenpflasters auf den Arm 
eine flechtenartige, erysipelatöse (rosenartige) Entzündung 
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*) Wir mögten das Eis und die reizende Cataplasme unbedingt 
verwerfen und zweckgünstiger durch kühlende Kopfumschläge (184 
15-120 R.) in einem Halbbade ersetzen, in welchem natuͤrlich die 
Beine und Arme kräftigst abwechselnd von je zwei Personen gerie— 
ben werden müßten. Der Herausgeber. 
**) Dieses Bekenntniß ist aller Anerkennung werth. Nur wird 
eine solche fast gewaltsam herbeigeführte kritische Entzündung gar 
zu leicht einen zu stürmischen, gar oft Gefahrdrohenden Character 
annehmen, der beschwichtigt bleibt, wenn die Entzündung langsamer 
durch mildere Anregung und wahrhaft kritisch herangebildet wird. 
Der Herausgeber. 
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