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Güte, bald mit Strenge. Alle Tugenden, zu denen
die Kinder herangebildet werden und deren sie mit der
Zeit fähig sind, wie Arbeitsamkeit, Reinlichkeit, Sittsam—
keit, Ordnungsliebe, Ehrliebe, Nächstenliebe u. s. w. müssen
dem nur noch mit kindlichen Verstandeskräften ausgestat—
teten geistig Verarmten beigebracht werden, mit denselben
Mitteln, die man eben wirklichen Kindern gegenüber an—
wendet. Ist aber der Irre bis zum Thier entartet, so
muß er aus einem wilden, reißenden Thiere zunächst in
ein zahmes umgewandelt werden. Rohheit und unnütze
Quälerei ist bei dieser Dressur ausgeschlossen. Beispiele
der neueren Zeit zeigen uns, daß Löwen und Tiger so—
wohl, wie starrköpfige, bis dahin unbezwingliche Rosse
rascher und williger dem Herrn der Schöpfung folgen,
wenn sie eine gemäßigte Strenge erfahren, als durch ein—
brmige, conseguente Gewalt Wer deig, ob sich micht
noch mit der Zeit ein Rarey oder Bathy für die tob—
süchtigen und eisernen Trotz bietenden Creaturen der Ir—
renhäuser findet. Körperliche Züchtigungen sind unbedingt
zu verwerfen, dagegen sah ich von Anwendung der kalten
Douche die besten Erfolge, wenn es galt, den Kranken
die für die Heilung unbedingt nothwendige Ueber—
zeugung beizubringen, daß er sich den Vorschriften und
den Anordnungen des Arztes fügen und dessen Willen sich
unterordnen müsse.*) Die Heilung wird ohne diese Ein—
sicht seitens des Patienten ganz unendlich erschwert und
in die Länge gezogen. Alle prächtigen, luxuriösen Vor—
kehrungen, alle Einrichtungen für den Comfort, auf den
jetzt in den großen Privatetablissements große Summen
oerwendet werden, Billardsäle, Concert- und Conversa—
tionszimmer verfehlen ihren Zweck und sind leicht ent—
behrlich, wenn sie nicht fügsamen, den Worten des Arztes
zugänglichen Bewohnern angehören. Diesen Gehorsam
durch gütige, belehrende, schöonende Worte und durch Un—
terweisung herbeizuführen, gelingt in den seltensten Fällen;
in den meisten aber erfüllt sich vielmehr der Ausspruch
eines früheren weimarischen Ministers, welcher zu sagen
pflegte: „Krebsschäden heilt man nicht mit Rosenwasser.“
Dies auf die Behandlung der Geisteskranken angewendet,
wird heißen: „Humanität ohne gleichzeitige Energie führt
zu keinem Resultate.“ Die Energie aber blos in Worten
reicht eben nicht aus, und da ist denn, wie gesagt, ein
passendes Unterstützungsmittel die unfreiwillige kalte
Begießung oder Douche. (Man sehe des Herausgebers
letzte und die beiden folgenden Noten.) Ich habe sie bei
Hunderten von Kranken anwenden sehen, nie ohne Nach—
theil für ihr physisches, wohl aber mit großem oft über—
raschendem Vortheil für ihr geistiges und namentlich sitt—
liches Wohl. Dieselbe, von einem tüchtigen Psychiater,
dessen Namen mir eben entfallen, mit dem bezeichnenden
Ausdruck: psychische Ohrfeige **) belegt, besteht darin, daß
der Kranke entkleidet in ein warmes Bad gebracht wird,
über welchem ein Deckel mit einem Ausschnitt für den
*) Wir kommen auf die Douche in unserm Nachwort zu sprechen.
Der Herausgeber.
, **) Wir geben zu, daß in der Pädiatrik eine tüchtige Ohrfeige
einem unerzogenen Buben bisweilen ein, ganz unerläßliches Ding
ist; ob aber die Douche nicht mehr als eine bloße Ohrfeige für die
freilich oft sich kindisch geberdenden Irren ist, werden wir später
sehen. Der Herausgeber.
Kopf sich anschließt. Durch den Zug an einer Schnur
vird nun der Kopf beliebig lange einem kalten Wasser—
strahl aus gewisser Höhe ausgesetzt. Ich glaube nicht,
daß es nur der Schreck oder die allgemeine Aufregung
des Gemüthes ist, welche eine wohlthätige Umstimmung
hervorruft; oft wird die Douche als wirkliches, kräftigstes
»ntzündungswidriges Mittel ihren Einfluß geltend machen.
Ich schließe dies unter Anderem daraus, daß manche
Kranke in ihrem gesunden Heilinstinkt darum baten, man
nöge sie jener für die Meisten in verhaßtem Andenken
tehenden Procedur preisgeben; so z. B. eine an periodi—
scher Manie Leidende, welche stets in ihrem Anfall einen
hochrothen Kopf bekam und sich dann heulend und in
Extase zur Erde warf. Für sie war das kalte Sturzbad
ein wahres Bedürfniß.
Esquirol rühmt die lang fortgesetzte Wirkung des
Eises. „Sie beruhigt den Kopfschmerz und die Wuth, die
den Aderlässen, den allgemeinen Bädern und der Douche
viderstanden. Das Eis ist besonders im Anfang der
Manie nützlich, wenn Hitze und Röthe des Gesichts Ge—
hirncongestion ahnen lassen. Die Anwendung nützt um
so mehr, wenn die Füße des Kranken in sehr warmes
Wasser gesetzt oder mit einem reizenden Kataplasma um—⸗
geben sind. *)
Hufeland hält das kalte Wasser in großen Mengen
getrunken (stündlich ein Glas) für ein Mittel gegen die
Manie. Theden trank täglich 24 —30 Pfund. Man
hat besonders dieses Mittel gegen den Selbstmord ange—
rathen. U
Sehr bedeutsam für die Heilkraft der Douche scheint
mir die weitere Bemerkung Esquirol's: „Die kalten
Begießungen wirken theils tonisch (stärkend, aufregend),
theils dadurch, daß sie eine heilsame, fieberhafte
Reaction hervorrufen.“ Zur Erklärung dieser wich—
igen Thatsache muß man sich veranschaulichen, was die
Therapie unter der Méthode substituante versteht. In
der Augenheilkunde kommt es vor, daß man durch Aetz—
mittel (1) eine schleichende Entzündung in eine hitzige
derwandelt. An die Stelle des früheren trägen tritt jetzt
zine zwar momentan heftigere, aber deshalb auch von
kräftigerer Reaction seitens des Organismus begleitete
Entzündung. So nun sieht man auch zuweilen bei Ge—
hirn- (Geistes-) Krankheiten mit chronischem Character
nach Anwendung der Douche eine einfallende Fieberkrank—
heit mit akutem Character das ursprüngliche Uebel til—
gen. *5) Vielleicht gehört hierher noch die folgende
Mittheilung Esquirol's: „Ich sah mehrmals durch die
Anwendung eines bloßen Blasenpflasters auf den Arm
eine flechtenartige, erysipelatöse (rosenartige) Entzündung
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*) Wir mögten das Eis und die reizende Cataplasme unbedingt
verwerfen und zweckgünstiger durch kühlende Kopfumschläge (184
15-120 R.) in einem Halbbade ersetzen, in welchem natuͤrlich die
Beine und Arme kräftigst abwechselnd von je zwei Personen gerie—
ben werden müßten. Der Herausgeber.
**) Dieses Bekenntniß ist aller Anerkennung werth. Nur wird
eine solche fast gewaltsam herbeigeführte kritische Entzündung gar
zu leicht einen zu stürmischen, gar oft Gefahrdrohenden Character
annehmen, der beschwichtigt bleibt, wenn die Entzündung langsamer
durch mildere Anregung und wahrhaft kritisch herangebildet wird.
Der Herausgeber.
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