Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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licher Geisteskrankheit ist, erzählen die Schriftsteller, daß 
dieselbe aufgehört habe, wenn unterdrückte Blutungen oder 
Hautkrankheiten wieder hergestellt wurden, „eben so nach 
Schmerzen in den Schenkeln, nach Geschwüren im Rachen, 
am Fuß, nach Verhärtung der Brüste, nach der Blindheit. 
Diese letzte Krise ist nicht sehr selten.“ 
Die Militärärzte hatten oft Gelegenheit zu sehen, daß 
die Unterdrückung der Transpiration die Soldaten epilep— 
tisch macht. 
Ein Mann, erzählt ferner Esquirol, welcher ge— 
wöhnlich sehr stark am Kopfe schwitzte und sich denselben 
(wahrscheinlich zu anhaltend) mit kaltem Wasser wusch, 
bekam Verwirrtheit. 
Endlich möge neben diesen angeführten Thatsachen, 
die für das Wesen und die Behandlung der Krankheiten 
sehr bedeutungsvoll sind, noch eine hieher gehörige Stelle 
eines nahmhaften Autors Platz finden. Carl Wilhelm 
Stark sagt (Allgem. Pathologie oder Allgem. Naturlehre 
der Krankheiten, 2. Aufl., Bd. 2, S. 415): „Hat eine 
Krankheit eine andere hervorgebracht, so hört die erstere 
entweder auf, oder besteht mit der letzteren noch fort 
In einigen Fällen kann das Aufhören der krankmachenden 
Krankheit zufällig sein, in andern ist es nothwendig. Der 
letztere Fall findet dann Statt, wenn in Folge eines Me— 
taschematismus oder einer Metastase (sog. Versetzung) eine 
Krankheit hervorgebracht wurde. Denn dann wandelt sich 
die erste Krankheit in die zweite um und kann also nicht 
neben jener noch existiren, wie z. B. wenn Rothlauf eine 
Hirnmetastase, zurückgetriebene Krätze Lungensucht, Typhus 
Parotiden (bösartige Ohrspeicheldrüsenentzündungen) erzeugt. 
Wird aber die zweite Krankheit in Folge mitleidender Rei— 
zung von andern Gebilden aus, z. B. Taubheit bei Leber— 
krankheiten oder durch hervorgerufene Reaction bewirkt, 
so können ursächliche und neugebildete Krankheit neben 
einander fortbestehen, und es bildet sich ein complicirter 
Krankheitszustand. M 
Endlich findet zuweilen auch zwischen zwei 
Krankheiten ein gegenseitiges ursächliches Verhält— 
niß Statt, was dann ein Alterniren (gegenseitiges Kom— 
men und Gehen, Entstehen und Verschwinden) beider zur 
Folge haben kann. 
Ein Mann bekam nach unterdrückten Flechten eine 
Hydrocele (Wasserhodenbruch). Nach Operation derselben 
kehrten die Flechten zurück. 
„Mein Vater — erzählt Stark — operirte einen 
Mann an einer Mastdarmfistel. Nach Heilung derselben 
wurde der Operixte wahnsinnig. Der Wahnsinn hob sich 
von selbst wieder, als sich eine neue Mastdarmfistel ge— 
bildet hatte.“ 
Wir entnehmen aus solchen Thatsachen, daß die künst— 
liche Beseitigung einer mehr oberflächlichen Krankheit oft 
unerwartet einen Rückschlag, Metastase (Umspringen, Ver— 
setzung) derselben auf ein edles Organ (Gehirn) zur Folge 
haben, unter Umständen aber durch Wiedererzeugung der 
ersten Krankheit die Gefahr dieser Versetzung beseitigt wer— 
den kann. *) 
*). Bei naturgemäßer Behandlung, die sich ja nicht blos gegen 
das einzelne örtliche Uebel wendet, sondern den ganzen Menschen 
als totale leidende Einheit im Auge hat und sich auch mit ihren 
hygieinischen Heilformeln sofort an alle einzelnen Organe und Sy— 
Also seelische und körperliche Gebrechen greifen in— 
einander. So auch sind z. B. die an Asthma Leidenden 
kleinmüthig und leicht schreckbar. Dadurch können eben— 
falls psychische Störungen genährt und befördert werden. 
(Rousseau sagt im Emil: „Ein hinfälliger Körper 
schwächt auch die Seele. Daher die Herrschaft der Arznei— 
kunst, einer Kunst, die dem Menschen weit schäd— 
licher ist, als alle Uebel, welche sie zu heilen 
vorgiebt. Ich wenigstens weiß nicht, von welcher Krank— 
heit die Aerzte uns heilen, aber ich weiß, daß sie uns 
viel kläglichere zuziehen: die Verzagtheit, die Kleinmüthig 
keit, die Furcht vor dem Tode. Heilen sie auch den Kör 
per (7), so tödten sie doch den Muth. Was nützt es uns 
daß sie wandelnde Leichen schaffen? Wir brauchen Men— 
schen, aber diese sieht man nicht aus den Händen der 
Aerzte hervorgehen. — Diese lügenhafte Kunst heilt uns 
weniger von unsern Krankheiten, als daß sie uns Schrecken 
einflößt.“ So weit Rousseau. Mit diesem Urtheil 
timmt auch die Thatsache überein, daß mit der Zunahme 
der Procentzahl der Medicinärzte auch die Procentzahl 
der Irren und Irrenheilanstalten in riesigem Steigen be— 
griffen ist.) 
Im Allgemeinen characterisiren sich die vom Gehirn 
selbst und dessen Häuten ausgehenden Reizungserscheinun— 
gen (das idiopathische, im Gehirn selbst und ursächlich 
sich entwickelnde Irrsein) durch Raschheit im Handeln, 
durch Lebhaftigkeit der Phantasie, auch wohl durch erhöh— 
tes Selbstgefühl, durch ein stolzes, hoffährtiges Benehmen; 
bei den sekundären (von andern erkrankten Körpertheilen 
herrührenden) Hirnaffectionen dagegen hat die Congestion 
einen mehr passiven, venösen Character. Die Hirnreizung 
ist dabei nicht so bedeutend. Es leidet vornehmlich 
das Gemüth und manchmal zeigt sich ein Gefühl von 
Druck und Schwere im Kopf. Der Nachtheil solcher pas— 
siven Congestionen für's Gehirn besteht in der Verlang— 
samung der Cirkulation. Auch hat der sympathische 
Geisteskranke es viel weniger in der Gewalt, seine Ge— 
müths- oder Geistesstimmung zu verbergen. Endlich be— 
theiligt sich bei ihn an dem Kranksein nicht nur das 
Gehirn, sondern auch und zwar vorherrschend der herum— 
schweifende und der sympathische Nerov. Aus alle dem 
ergiebt sich abermals, wie nothwendig das Individuali— 
siren des einzelnen Falles ist. Was hier nützt, wird dort 
(vielleicht) schaden. Was aber für alle Fälle von 
zweifelhaftem Werth bleibt, das sind reichliche 
allgemeine Blutentziehungen und große Dosen 
Opium. *) Was erstere betrifft, so bringt schon Pinel 
den Ausgang in Blödsinn in Zusammenhang mit den— 
selben. — Der durch die Entleerung der Blutgefässe her— 
steme, namentlich aber an Haut und Magen, Lunge und Blut wen— 
det, fällt solche Gefahr von vorneherein weg. Man vergleiche auch 
unsre letzte Note unterm Text. Der Herausgeber. 
) Dr. Goullon ist in einem folgenden von uns weggelassenen 
Satze noch für kleinere Blutentziehungen (Schröpfköpfe, Blutegeh. 
Wir meinen, sie sind absolut werthlos und selbst verwerflich. Die 
naturgemäße Heilweise hat viel eingreifendere und vernünftigere 
Anwendungsformen zwecks Regelung siockender Blutcirkulation. Wir 
kommen auf sie im Nachwort zurück. Eben so sind wie die größeren, 
so auch die kleineren Gaben, von Arzneien absolut verwerflich und 
eicht und tausendfach günstiger erseßbbar durch naturgemäaͤße Heil— 
formeln. Der Herausgeber. 
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