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licher Geisteskrankheit ist, erzählen die Schriftsteller, daß
dieselbe aufgehört habe, wenn unterdrückte Blutungen oder
Hautkrankheiten wieder hergestellt wurden, „eben so nach
Schmerzen in den Schenkeln, nach Geschwüren im Rachen,
am Fuß, nach Verhärtung der Brüste, nach der Blindheit.
Diese letzte Krise ist nicht sehr selten.“
Die Militärärzte hatten oft Gelegenheit zu sehen, daß
die Unterdrückung der Transpiration die Soldaten epilep—
tisch macht.
Ein Mann, erzählt ferner Esquirol, welcher ge—
wöhnlich sehr stark am Kopfe schwitzte und sich denselben
(wahrscheinlich zu anhaltend) mit kaltem Wasser wusch,
bekam Verwirrtheit.
Endlich möge neben diesen angeführten Thatsachen,
die für das Wesen und die Behandlung der Krankheiten
sehr bedeutungsvoll sind, noch eine hieher gehörige Stelle
eines nahmhaften Autors Platz finden. Carl Wilhelm
Stark sagt (Allgem. Pathologie oder Allgem. Naturlehre
der Krankheiten, 2. Aufl., Bd. 2, S. 415): „Hat eine
Krankheit eine andere hervorgebracht, so hört die erstere
entweder auf, oder besteht mit der letzteren noch fort
In einigen Fällen kann das Aufhören der krankmachenden
Krankheit zufällig sein, in andern ist es nothwendig. Der
letztere Fall findet dann Statt, wenn in Folge eines Me—
taschematismus oder einer Metastase (sog. Versetzung) eine
Krankheit hervorgebracht wurde. Denn dann wandelt sich
die erste Krankheit in die zweite um und kann also nicht
neben jener noch existiren, wie z. B. wenn Rothlauf eine
Hirnmetastase, zurückgetriebene Krätze Lungensucht, Typhus
Parotiden (bösartige Ohrspeicheldrüsenentzündungen) erzeugt.
Wird aber die zweite Krankheit in Folge mitleidender Rei—
zung von andern Gebilden aus, z. B. Taubheit bei Leber—
krankheiten oder durch hervorgerufene Reaction bewirkt,
so können ursächliche und neugebildete Krankheit neben
einander fortbestehen, und es bildet sich ein complicirter
Krankheitszustand. M
Endlich findet zuweilen auch zwischen zwei
Krankheiten ein gegenseitiges ursächliches Verhält—
niß Statt, was dann ein Alterniren (gegenseitiges Kom—
men und Gehen, Entstehen und Verschwinden) beider zur
Folge haben kann.
Ein Mann bekam nach unterdrückten Flechten eine
Hydrocele (Wasserhodenbruch). Nach Operation derselben
kehrten die Flechten zurück.
„Mein Vater — erzählt Stark — operirte einen
Mann an einer Mastdarmfistel. Nach Heilung derselben
wurde der Operixte wahnsinnig. Der Wahnsinn hob sich
von selbst wieder, als sich eine neue Mastdarmfistel ge—
bildet hatte.“
Wir entnehmen aus solchen Thatsachen, daß die künst—
liche Beseitigung einer mehr oberflächlichen Krankheit oft
unerwartet einen Rückschlag, Metastase (Umspringen, Ver—
setzung) derselben auf ein edles Organ (Gehirn) zur Folge
haben, unter Umständen aber durch Wiedererzeugung der
ersten Krankheit die Gefahr dieser Versetzung beseitigt wer—
den kann. *)
*). Bei naturgemäßer Behandlung, die sich ja nicht blos gegen
das einzelne örtliche Uebel wendet, sondern den ganzen Menschen
als totale leidende Einheit im Auge hat und sich auch mit ihren
hygieinischen Heilformeln sofort an alle einzelnen Organe und Sy—
Also seelische und körperliche Gebrechen greifen in—
einander. So auch sind z. B. die an Asthma Leidenden
kleinmüthig und leicht schreckbar. Dadurch können eben—
falls psychische Störungen genährt und befördert werden.
(Rousseau sagt im Emil: „Ein hinfälliger Körper
schwächt auch die Seele. Daher die Herrschaft der Arznei—
kunst, einer Kunst, die dem Menschen weit schäd—
licher ist, als alle Uebel, welche sie zu heilen
vorgiebt. Ich wenigstens weiß nicht, von welcher Krank—
heit die Aerzte uns heilen, aber ich weiß, daß sie uns
viel kläglichere zuziehen: die Verzagtheit, die Kleinmüthig
keit, die Furcht vor dem Tode. Heilen sie auch den Kör
per (7), so tödten sie doch den Muth. Was nützt es uns
daß sie wandelnde Leichen schaffen? Wir brauchen Men—
schen, aber diese sieht man nicht aus den Händen der
Aerzte hervorgehen. — Diese lügenhafte Kunst heilt uns
weniger von unsern Krankheiten, als daß sie uns Schrecken
einflößt.“ So weit Rousseau. Mit diesem Urtheil
timmt auch die Thatsache überein, daß mit der Zunahme
der Procentzahl der Medicinärzte auch die Procentzahl
der Irren und Irrenheilanstalten in riesigem Steigen be—
griffen ist.)
Im Allgemeinen characterisiren sich die vom Gehirn
selbst und dessen Häuten ausgehenden Reizungserscheinun—
gen (das idiopathische, im Gehirn selbst und ursächlich
sich entwickelnde Irrsein) durch Raschheit im Handeln,
durch Lebhaftigkeit der Phantasie, auch wohl durch erhöh—
tes Selbstgefühl, durch ein stolzes, hoffährtiges Benehmen;
bei den sekundären (von andern erkrankten Körpertheilen
herrührenden) Hirnaffectionen dagegen hat die Congestion
einen mehr passiven, venösen Character. Die Hirnreizung
ist dabei nicht so bedeutend. Es leidet vornehmlich
das Gemüth und manchmal zeigt sich ein Gefühl von
Druck und Schwere im Kopf. Der Nachtheil solcher pas—
siven Congestionen für's Gehirn besteht in der Verlang—
samung der Cirkulation. Auch hat der sympathische
Geisteskranke es viel weniger in der Gewalt, seine Ge—
müths- oder Geistesstimmung zu verbergen. Endlich be—
theiligt sich bei ihn an dem Kranksein nicht nur das
Gehirn, sondern auch und zwar vorherrschend der herum—
schweifende und der sympathische Nerov. Aus alle dem
ergiebt sich abermals, wie nothwendig das Individuali—
siren des einzelnen Falles ist. Was hier nützt, wird dort
(vielleicht) schaden. Was aber für alle Fälle von
zweifelhaftem Werth bleibt, das sind reichliche
allgemeine Blutentziehungen und große Dosen
Opium. *) Was erstere betrifft, so bringt schon Pinel
den Ausgang in Blödsinn in Zusammenhang mit den—
selben. — Der durch die Entleerung der Blutgefässe her—
steme, namentlich aber an Haut und Magen, Lunge und Blut wen—
det, fällt solche Gefahr von vorneherein weg. Man vergleiche auch
unsre letzte Note unterm Text. Der Herausgeber.
) Dr. Goullon ist in einem folgenden von uns weggelassenen
Satze noch für kleinere Blutentziehungen (Schröpfköpfe, Blutegeh.
Wir meinen, sie sind absolut werthlos und selbst verwerflich. Die
naturgemäße Heilweise hat viel eingreifendere und vernünftigere
Anwendungsformen zwecks Regelung siockender Blutcirkulation. Wir
kommen auf sie im Nachwort zurück. Eben so sind wie die größeren,
so auch die kleineren Gaben, von Arzneien absolut verwerflich und
eicht und tausendfach günstiger erseßbbar durch naturgemäaͤße Heil—
formeln. Der Herausgeber.
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