Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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u der Zahl der Müssiggänger in den Irrenhäusern, eingeschränktes, nüchternes, alle schädlichen Einflüsse pe— 
inderntheils aber auch diejenigen sind, welche einer Hei— dantisch meidendes Leben zu führen.) I 
ung den hartnäckigsten Widerstand entgegen setzen. „Wer nie verließ der Tugend enge Kreise, 
„In müssiger Stunde schafft der böse Geist!“ geses us eige Juczen geen 
„Der war nie thöricht, aber auch nie weise.“ 
In diesen Worten liegt viel gesunde Moral, freilich 
st es die Moral des praktischen Lebens und nicht die der 
ehn Gebote!**) Und wer, fragen wir weiter, wollte 
inen Augenblick an der Wahrheit des Schiller'schen 
Ausspruches zweifeln: „In der ganzen Geschichte des Men—⸗ 
chen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, 
ils die Annalen seiner Verirrungen.“ Daher fliehe man 
iuch übertriebene Stille und Abgeschlossenheit, in der zwar 
zas Talent gedeiht, aber der Charakter verkümmert. Der 
ildet sich jim Strom der Welt“. Und wann ist ein 
tarker, eiserner Character nöthiger, als da, wo es gilt, 
zen anprallenden Stürmen, welche die Seele bedrohen, 
Trotz zu bieten. Die Geisteskrankheit ist eine Macht, der 
zur activer Widerstand mit Erfolg entgegengesetzt werden 
ann. Ist doch gerade das scheue Sichzurückziehen von 
)er Well ein verdächtiges Symptom für die beginnende 
Ztörung der individuellen Seele. Also gerade solchen 
Raturen muß umgekehrt die Welt erschlossen werden, weg 
nüssen sie geführt werden „zu neuem, buntem Leben“. 
Neue Eindrücke müssen die alten, schwermüthigen ver— 
rängen. Aus den verzehrenden Flammen der Krankheit 
nuß das Opfer gezogen werden, ehe die Gluth über sei⸗ 
nem Haupt zusammenschlägt. 
So kommen wir zu einer therapeutischen Hülfe, zu 
einem ächt psychischen Heilmittel, das von dem A der 
Krankheit bis zum 8 die allerwichtigste Rolle spielt und 
ine wahre conditio sine qua non (Bedingung, ohne 
pelche kein Erfolg) abgiebt. Ich meine die Versetzung 
des Erkrankenden in eine andere Atmosphäre. Ein neuer 
ohysischer und moralischer Horizont muß sich aufthun vor 
den Augen des Verzweifelnden. „In einem andern Son— 
ienlichte, in einer glücklicheren Natur“ wird der verirrte 
FJeist umwenden und das todte Herz durch frische Puls— 
chläge belebt werden. Ist namentlich in den umgebenden 
achlichen oder persönlichen Beziehungen der Grund be— 
Die Schwere des Berufes kann das Gemüth zu Bo— 
den drücken, allein gar kein Beruf führt zu einer fo ge⸗— 
ahrlichen Blasirtheit an Geist und Körper, daß man 
nicht staunen darf, wenn bizarre Ideen auftauchen, aben⸗ 
euerliche Gedanken und Vorstellungen vom Leben und von 
der Welt ausgebrütet, unnatürliche Sinnenreize herauf⸗ 
»eschworen werden, welche die träge Maschine im Gang 
halten sollen. Hirnerweichungen, Körper und Geist aus— 
ehrende Störungen sind die unmittelbaren Folgen eines 
olchen unphysiologischen Lebenswandels. 
Es ist sicher und unumstößlich, die moralische 
Fähigkeit des Entsagens und Entbehrens schützt 
gegen Irrsinn nicht minder, als vielseitige Bil— 
dung und Besonnenheit.“ 
Sache der Eltern und einer verständigen Umgebung 
iüberhaupt wäre es, denen, deren Seelenwohl ihnen an— 
ertraut ist, zu folgen, damit sie unterscheiden zwischen 
ugendlichem Austobenlassen aller Lebensgeister und dem 
auteren, einseitigen Ausschweifen. Auch hier sind die 
Ertreme streng zu vermeiden und der goldene Mittelweg 
der beste. 
Deshalb mögen sich andererseits Eltern, deren groß⸗ 
werdende Kinder nicht leeren, wüsten Genüssen nachjagen, 
rur dann freuen, wenn dieselben nicht umgekehrt in über— 
triebener Weise solid sind, zu früh daran denken, ein 
x) Dieser Satz kann nur höchst beziehungsweise Geltung haben. 
Fründet sich die beobachtete eingeschränkte, nüchterne Lebensweise 
iuf erkannte und bewußte Naturgesetzlichkeit, wenn auch die strengste, 
o ist sie gut zu heißen. Hat sie diesen Grund nicht, sondern bloße 
eere Pedanterie, dann allerdings mögte hinter solcher Pedanterie 
in bedenkliches, das Schlimmste ahnen lassendes krankhaftes Geistes⸗ 
ymptom zu suchen sein. Der Heradusaeber. 
«x) Der Verfasser giebt diesen Dichterworten eine zu weitgehende 
Deutung; sie wollen nicht mehr sagen, als was uns Christus in 
einem schönsten Gleichniß, in dem vom verlornen Sohn niederlegte. 
der verlorne Sohn hatte Prüfungen bestanden, wie sie an die an— 
slern noch gar nicht herangetreten waren. Und doch lehrte auch 
Fhristus das Gebet: „Führe uns nicht in Versuchung! — und 
Jas Gebot: „Entsage!“ Denn gerade, wer eben rechtzeitig und 
Kielem entsagt hat, der lernt sich beherrschen, der stählt die Willens⸗ 
raft und vermag wie Keiner außer ihm, Prüfungen zu bestehen, 
ie das Schicsal nur Wenigen aufzusparen pflegt. Obendrein pflanzt 
die Entsagung brüderliche Liebe und Menschenliebe in das Herz und 
erade fie ist es wieder einzig, die den Meunschen treibt, zum Wohle 
er Menschheit Kämpfe, heiße Kämpfe aufzunehmen und Prüfungen 
u wagen, wie wieder Keiner außer ihnen. 4 
Der Herausgeber.
	        
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