Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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und wenn noch die Heilung seines Uebels möglich sei, 
so werde sie gewiß in der Schweiz trotz der Winterkälte 
vollzogen werden: das südliche Klima, das die süddeut— 
schen, toskanischen, päbstlichen und neapolitanischen Herren 
Hof- und Medicinalräthe angerathen hätten, sei nuͤr an— 
gerathen, um damit den voraussichtlichen Todeskandidaten 
cechtzeitig vom Halse zu haben. 
Diese unbefangen geäußerte Hinweisung des Kammer— 
dieners auf das wahrscheinlich unvermeidliche Schicksal, 
das seinem Herrn bevorstehe, wenn er fernerhin weiter 
südwärts steure, genügte, unsern Kranken die entgegenge— 
setzte Richtung einschlagen zu lassen. Theils zu Land, 
theils zu Wasser eilte er der Schweiz zu; den Vorrath 
von Bismuthpülverchen nahmen die Wellen des mittel— 
ländischen Meeres in sich auf; der gute Kammerdiener 
wußte sich eben zu rechter Stunde noch zu erinnern, mit 
welchem Feuereifer seine Schwester ihm einst alle Medika— 
mente aus Apothekersküche als schädliche, als tödtliche 
Bifte bezeichnet hatte. Herr und Diener reisen unauf— 
haltsam bei Tage und wenn möglich auch bei Nacht. 
Aber d Wehl! der eisige Gotthardpaß setzt der Weiterreise 
ein Halt entgegen: der Kranke verfällt in eine solche ner— 
pöse Aufregung, und das abendliche Fieber nimmt einen 
so bedrohlichen Grad an, so daß man Quartier nehmen 
und längeren Halt machen muß. 3, 4 Tage Abwattens 
indeß in wohnlichen Räumen, nahe auf dem Gipfel des 
Gotthardpaß gewähren dem Kranken die benöthigt gewe— 
sene Ruhe und Erholung und J sonniger Tag Anfangs 
Februar 1857 läßt ihm die Möglichkeit, den Gotthard 
zu überfahren und den Vierwaldstädter See zu erreichen. 
Zwei weitere Tage bringen Herrn und Diener nach Zürich. 
Hier ward auf dem Postbureau dem Naturarzt Hahn 
nachgefragt. Nur dunkel weiß sich ein älterer Beamter 
zu erinnern, daß jener Hahn vor 4, 5 Jahren bei Elgg 
gewohnt habe, seither aber von dort fortgezogen sein müsse, 
Man fährt nach Elgg; man steigt im Gasthof ab und 
fragt nach Hahn. Höchst ungewisser Bescheid — er sei 
in den Kanton St. Gallen gezogen; möglicher Weise wisse 
man auf dem Postbureau eine nähere Auskunft. Dort 
endlich erfährt man, daß Hahn seit 3 Jahren auf der 
„Waid“. Die nähere Berathung ergiebt Folgendes: der 
Kranke ist ein Mann, zwar in den besten Jahren noch, 
aber wahrlich nicht in bester Gesundheit. Von Haus aus 
von zarterem Körperbau, konnten die späteren emsig ge— 
pflogenen Gymnasial- und Universitätsstudien, sowie die 
sehr früh erlangte höhere diplomatische Stellung (Bundes— 
tagsgseaudter ꝛc. ꝛc.) und die stete dichterische und litera— 
rische Beschäftigung das schwanke körperliche Gebäude wahr— 
lich nicht festigen, sondern mußten es umgekehrt nach und 
nach untergraben und morsch und brüchig machen: Die 
Nerven litten allgemein, und durch die häufig besuchten 
Gelage an fürstlichen Höfen und in den Gasthöfen ge— 
legentlich häufiger Reisen mit gekrönten Häuptern noch 
ganz besonders die Magennerven. Aerzte wurden bald 
und viel zu Rathe gezogen und was die üppig zubereite— 
ten Speisen der fürstlichen Gastmähler noch nicht am 
Magen verdorben hatten, das richteten nun die Arzneien, 
bez. Gifte der Herren Heilkundigen ()) zu Grunde. Die 
zuletzt berathenen Herren Medicinalräthe der süddeutschen 
Residenz, anerkannte Autoritäten der neueren sog. physio— 
logischen und rationellen Schule sagten unserm Kranken 
chließlich „Magenkrebs“ nach. 
Magenkrebs ist ein schreckliches, meist für unheilbar 
erklärtes Uebel, und ein Magenkrebs-Kranker gilt allge— 
mein als Todeskandidat. 
Unser Kranker war aber gar nicht Magenkrebskrank, 
sondern ganz einfach tiefgradig Nerven-und Magennerven— 
krank und nebenbei Medicin- und im Besondern Bismuth— 
krank. Wollten die Herren der physiologischen Schule ihn 
aber Krebskrank wissen, so hätten sie ihn höchstens Me— 
dicin- oder Bismuthkrebs-krank bezeichnen sollen. 
Unser Kranker reisste nach 3 Wochen, im Wesentlichen 
zeheilt, ab von der Waid; die weitere Heilung von der 
allgemeinen Nervosität und Magennervenschwäche wollte 
derselbe durch fortbeobachtete Diät und milde Hauskur 
anstreben und hat sie auch in Wirklichkeit nach und nach 
erreicht. 
Die Kur während jener 3 Wochen war eine höchst 
nilde: Morgens früh ein Halbbad von 200 und Vor— 
mittags ein Sitzbad von 180 und 10 Minuten Dauer; 
Nachts eine erregende Hals- und eine solche Leibbinde; 
zazu die in Naturheilanstalten übliche reizlose Diät; von 
Fleischspeisen aß Patient nur wenig Fisch und Geflügel. 
Nach wenigen Tagen nach der Kur stellte sich ein heftiger 
Speichelfluß ein, der so ausgeprägt nach Bismuth schmeckte, 
'o daß es eine chemische Untersuchung unfehlbar nachge— 
wviesen haben würde. Acht bis zehn Tage dauerte dieser 
Speichelfluß an; bei Tag, bei Nacht unausgesetzt floß der 
Speichel und machte die ganze Mundhöhle wund. Sehr 
zäufiges Wassertrinken und Mundspülen linderte indeß 
die Pein, so viel sie überhaupt gelindert werden konnte. 
Kaum war dieser reinigende Speichelfluß zur Ruhe 
zekommen, so brach eine neue Krisis aus: ein Wahnsinn— 
Anfall. Der Kranke, gewohnt, alle Nachmittage einen 
ängeren Spaziergang zu machen, beklagte sich, als sein 
dammerdiener ihn hierzu auffordern wollte, über Frost 
ind Schwere in den Gliedern. Es wurde gerathen, daß 
Patient sich in seinem Schlafrock auf's Sofa lege und 
zut zudecke. Als der Frost sich nach einer halben Stunde 
noch nicht gelegt hatte, entkleidete sich Patient und begab 
ich in's Bett. Der Kammerdiener verließ ihn sodann, 
als nach einer weiteren halben Stunde plötzlich die Glocke 
zus dem Zimmer des Kranken gezogen wurde mit einer 
Zeftigkeit und unablässig, so daß bald Kammerdiener, 
Zadediener und Arzt und Hausgenossen zusammenliefen, 
erstere drei in das Zimmer zum Kranken eilend. Hier 
anden sie den Kranken an der Glockenschnur fest hängend 
ind sie unablässig ziehend. Der Kranke war vollständig 
zeistesabwesend und in einem hohen Grade ausgeprägtester 
Tobsucht — die Augen stier, unbestimmt hinausblickend, 
das Gesicht geröthet, aufgedunsen; dazu wilde Phantasien, 
Schimpfworte auf den Kammerdiener, daß er nicht komme, 
Todesahnungen, Aussetzung von Vermächtnissen für den 
Arzt und den Kammerdiener. Erst nach einer Viertel—⸗ 
tunde hindurch stetig gewechselter kühlender Kopf- und 
Stirnumschläge wurden die Phantasien ruhiger und ließ 
auch endlich Patient die fortwährend gezogene Glocken— 
schnur aus der Hand. Nun waren wir auch fähig, eine 
kräftig-kalte Fußabreibung vorzunehmen und bald brach 
rin außerordentlich reicher allgemeiner Schweiß aus, dem 
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