Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Die Impf-Gegner glauben nicht, sondern sie wis 
sen, daß das Impfen und dannt die Möglichkeit, syphili 
tisch angesteckt zu werden, gefährlicher ist, als die Blattern- 
Krankheit, welche in physiatrischer Behandlungsweise weder 
lebensbedrohlich noch von schlimmen Nachfolgen ist. 
Die Gegner j>es Jmpfens wissen, daß vor der Imps- 
Vergiftung nicht, wie heut zu Tage, 30 von Hunderten kurz 
sichtig waren, von den Erscheinungen der ägyptischen Augen 
krankheit, von den Zahnlosen und Kahlköpfen nicht zu sprechen. 
Der rühmlichst bekannte Prof. Dr. Hamernik in Prag 
unter andern sagt: „Es kommt zu folgenden Resultaten: Man 
hat oft beobachtet, daß Geimpfte noch während der Blüthe 
^des Vaccina oder ganz kurz nach ihrer Abtrocknung 
von Variola befallen wurden. Legendre und andere 
französische Aerzte berichten von Fällen, wo Kinder bald nach 
der Impfung der Variola erlegen sind. Rilltet und Barthez 
sprechen sich in ihrem klassischen Buche gegen die Vac- 
cination bei Variola-Epidemien aus, weil die Vaceina die 
Entwicklung der Variola nicht hindere, ja sogar 
ihren Verlauf störe. 
In den Epidemien von Paris 1825 und 1828'hat sich 
die Vaccina nutzlos erwiesen. Diese Vorkommnisse, das 
wiederholte Wechseln des Impfstoffes, die Revaccination, sind 
sprechende Beweise für den ungenügenden Schutz der Vaccina. 
— Die Geschichtsforscher geben an, daß die Variola lange 
vor unserer Zeitrechnung in China und Indien zahlreiche 
Opfer gefordert habe, und daß dieselbe wiederholt von selbst 
durch mehrere Jahrhunderte wieder vollständig verschwun 
den sei. 
Von dem Grundwesen der Variola und ihrer ratio 
nellen Behandlung sind die alten allopathischen Aerzte in dem 
selben tiefen Dunkel des Nichtwissens als zur Stunde noch 
über das Wesen und die sichere Behandlung der Cholera- 
Epidemie" 
Man spricht vom Impfen als Schutz gegen Blättern- 
Erscheinung! — Die Behörde ertheilt aber den bereits Ge 
impften den Rath, sich zum zweiten Male impfen zu lassen. 
Wir müssen daraus schließen, daß die Schutz kraft der 
ersten Impfung nur eine bedingte sei, ja daß dieselbe nach 
einer gewissen Zeit gar nicht mehr vorhanden ist. Wenn nun 
diese Behörde nach einer gesunden Denkkraft handeln würde, 
so müßte entweder ein zweiter, dritter, sechster Impfzwang 
und zwar gesetzlich eingeführt, oder es muß der erste Impf 
zwang gesetzlich wieder aufgehoben und den Eltern auch nur 
der Räth ertheilt werden, ihre Kinder impfen zu lassen. 
Nun wird aber kaum der zwanzigste Theil zum zweiten 
Male geimpft. In welcher Gefahr muß also kommenden 
Falles die ganze Bevölkerung sich befinden, wenn die Schutz 
kraft der einmal Geimpften, welche nicht revaccinirt sind, 
erloschen ist. 
Welchen vernünftigen Trost kann die Behörde den be 
unruhigten Eltern geben? —- 
Des Naturarztes v. Helfer Leiden und Freuden. 
Somatisch-hydriatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
„Einige von Ihnen, meine Herren — fuhr der Schul-' 
direetor fort —, werden sich entsinnen, daß vor 30 Jahren 
(denn so lange ist es nun her, daß ich als zweiter Lehrer 
an hiesiger Schule angestellt wurde) der Gesundheitszustand 
in Mölsitz durchaus nicht so günstig war, wie jetzt. Unser 
Städtchen galt damals für den ungesundesten Ort des ganzen 
Landes und es schien — mit Recht. Denn Pocken, Masern, 
Scharlach, aber auch Nerven- und Wechselfieber grassirten in 
fast unerhörter Weise Jahr aus, Jahr ein hier, und die Be 
wohner, vom Kinde bis zum Greise, trugen in ihrer pocken 
narbigen, gelb-fahlen Gesichtsfarbe, Magerkeit und offenbarer 
Schwächlichkeit die Folgen davon jedem hier Ankommenden 
oder Durchreisenden zur auffälligen Schau und zum unver 
kennbaren Beweise. 
C. Augustin. Ja, ja — erinnere mich noch, ziemlich 
dunkel zwar aber seit unser verehrter Herr Medieinal- 
rath — — — 
Medicinalrath. Bitte, bitte, — unterbrechen Sie den 
Sprecher nicht —. 
Schuldireetor. Die damals hier bestehende Apotheke 
schien fast vollauf nur mit der Versorgung der kleinen Stadt 
zu thun zu haben 5 — 
G. Augustin. Und der Wohlstand der Bevölkerung 
litt offenbar doppelt damals! 
Pastor. Ach — unterbrechen Sie doch nicht! 
Schöppe (halblaut). Ekelhaft doch — solche Ergän 
zungen! 
Schuldireetor. Mir war dieser Zustand des Ortes 
nicht unbekannt, und ich sah in meiner Versetzung hierher, bei 
meinem eigenen damaligen Körperbefinden höchst mißlicher 
Art, nur sichere Aussicht auf frühzeitiges Grab. Vom Va 
terhause her schon nicht der größte körperliche Held, scrophu- 
löser Anlage, und überreizt in meinem Nervensystem durch 
vieles sitzendes, den Kopf übermäßig anstrengendes Arbeiten 
im Seminar, dazu mit einer Affection der Luftröhre versehen, 
welche ich mir wahrscheinlich in letzter Zeit meines Studiums 
durch vieles lautes Katechifiren zugezogen hatte, kam ich, das 
Siechthum mir nachschleppend, hier an, ein neues. Gerippe, 
mit gelber, faltenreicher Haut überzogen, zur Vermehrung der 
vielen hier schon so vorhandenen. Und doch wollte es das 
Schicksal wohl mit mir machen und durch mich vielleicht auch 
etwas mit den geplagten hiesigen Bewohnern, wenigstens mit 
deren Kindern und mehr noch mit einer neuen Generation 
in Mölsitz! 
Noch war ich nicht ein ganzes Jahr am Orte, als ich, 
wunderbar gestärkt durch die den Bücher- und Stuben-Staub 
des Seminars aus meinem Blute austreibende hiesige herr 
liche Gebirgsluft, zu meinem eigenen großen Erstaunen den 
Muth bekam, einer Einladung von Verwandten, welche in 
der Nähe von Ansbach wohnten, Folge zu leisten, um der 
Hochzeitsfeier einer Muhme beizuwohnen. Ich hatte von hier 
aus eine tüchtige Tagereise zu Fuß — denn Postwagen und 
Chausseen gab es ja damals noch nicht hier — zurückzulegen, 
und dann erst konnte ich für die letzte Strecke einen Stell 
wagen benutzen. Der Wagen war aber voll von Passagieren 
und ließ mich nur einen Platz beim Kutscher auf dem Bocke 
finden. Da geschah es, daß, kaum noch eine Stunde ent 
fernt von Ansbach, ein Gewitter aufzog und bald des Him 
mels Schleusen in aller Fülle und Macht über den Kutscher 
und mich sich ergossen, so daß wir trotz meines baumwollenen, 
kräftigen Regenschirmes, den der Sturm arg mitnahm, bis auf 
die Haut durchweicht wurden. Mein Kehlkopfleiden war 
ohnedies in den letzten Wochen wieder rege geworden, und 
ich mußte nun, nach diesem unfreiwilligen Himmelbade, fürch-
	        
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