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Verbindung, zur rechten Zeit und am rechten Orte auf uns
anwenden und ihre Wirksamkeit darauf richten, daß bei Ueber-
fluß — Entziehung, bei Mangel — Zusatz, bei zu viel Wärme
Kälte, bei zu viel Kälte — Wärme, bei Trägheit — Bewegung,
bei fieberhafter Aufregung — Ruhe, bei Schwäche — Stär
kung, bei zu viel Feuchtigkeit — Trockenheit, bei allzu viel Fe
stigkeit und Härte— Flüssigkeits-Zufuhr re. herbeigeführt werde.
Eine Entziehungskur mit gleichzeitiger Kräftigung, —
eine Diät mit Herabstimmung, — eine Läuterung der Säfte,
durch Abschneiden der Zufuhr zu neuen Säfteentmischungen,
— Kälte und Wärme re. — (feuchte Wärme als Grundprin
cip jedes Wachsthums und Bildungsprocesses) diese Verbin
dungen und Combinationen, diese Modificationen nach den
verschiedensten Seiten hin sind es, welche die einfachsten Mittel zu
den wahrsten, eigentlichsten und unschädlichenHeilmethoden bilden.
Diese einfache Heilung der Krankheiten oder naturgemäße
Pflege des Körpers gleicht den Grundsätzen, die der Gärtner
bei Behandlung seiner Gewächse anwendet. Er schneidet die
überlastenden Ausschüsse ab, — die trockene Pflanze wird be
gossen, die allzu feuchte trocken gelegt, die Tropenpflanze be
kommt mehr Licht und Wärme, die nordische" Seeblume mehr
Feuchte und Kühle. So erhält er einen Flor von immer
grünen und gesunden Gewächsen, auch Kinder der Natur —
durch Mittel der Natur erzogen, gepflegt und erhalten.
Aber noch ein anderer Punkt ist es, ver den Naturheil
mitteln einen Vorrang einräumt vor den Kunstheilmitteln.
In dieser Beziehung führt der Dr. Steinbacher in seinem
früher bezeichneten Werke wörtlich an:
„Ist der krankhafte Organismus durch verschiedene Me-
dicamente nothdürstig reparirt, — hat man wie an einer Uhr,
die zu spät und zu langsam geht, zu dem alten Gewichte noch
ein neues zugelegt: er bleibt verstimmt, und für alle Folge
muß immer mehr noch künstlich zugegeben werden. Dies und
Jenes ist zu meiden. Diese Speise, jener Trank, Hitze und
Kälte müssen strengstens für alle Folge vermieden werden,
— sonst ist das alte Leiden wieder da, wie wenn man von
der Uhr das beigegebene Gewicht wieder wegnimmt, sie auch
nicht mehr richtig geht. — Dies aber ist keine vollkommene
Heilung, sondern nur die nothdürftigste Reparatur und
Flickwerk."
„Anders aber ist es, wenn man statt nur die Uhr durch
ein zugefügtes Gewicht zu belasten, wodurch die Räder noch
mehr ausgerieben werden und allmälig und oft bald schon
sich vollkommen abnutzen, -— derselben ein neues Trieb- und
Steigrad, neue Hebelkraft und frisches Oel giebt. Dann geht
sie fort, und Luftzug und Staub wird sie wenig beirren.
Ebenso ist es mit den Naturheilmitteln. Man giebt neues
Blut. Neue Säfte aber erzeugen neue Kraft, - — die Kraft
aber ist die Quelle des Lebens, — die Lebenskraft in ihrer
Frische ~ sie verjüngt und stärkt für lange Zeit."
„Neuer geordneter Stoffwechsel, frischer Umtausch und
Austausch, Aufnahme und Ausscheidung heißt so viel, als eine
neue Feder einsetzen in eine Maschine, neue Räder geben dem
künstlichen Uhrwerke."
„Die Verwendung aber dieser Naturheilmethode im Falle
der Krankheit, — die rationelle Verbindung derselben zu einem
je nach individuellen Verhältnissen anzuwendenden Systeme,
— die Kunst, durch einfache, natürliche Mittel große Heilwir
kungen zu erzielen, heißt das Naturheilverfahren." —
Versuchen wir nun noch in wenigen Worten das zu wiederho
len, was das Naturheilverfahren, der Medicinkunst gegenüber,
bezweckt.
Das Naturheilverfahren giebt dem im naturwidrigen
Leben verweichlichten und erschlafften Organismus die natür
liche Energie, um die Keime der Krankheiten ab- und auszu
stoßen. Dies geschieht namentlich dadurch, daß auf seine Ge-
sammtkraft mit Kälte und Wärme, hervorgebracht durch Was
ser, eingewirkt und aus diesem Wege die verschiedensten Or
gane zur normalen Thätigkeit angeregt und die Säfte- (Blut-)
Stockungen und Verirrungen in normalen Fluß-Zustand ge
setzt werden. Gewöhnlich geschieht dies durch kalte Waschun
gen, Abreibungen, nasse und trockene Einwickelungen, partielle
Umschläge und Compressen, sowie durch Bäder und Jnnehal-
tung einer strengen Diät. Die Wirkungen sind augenschein
lich wohlthuend und Vortheilhaft. Indem alle Ventile des
Körpers sich öffnen, strömen aus ihnen die in feuchter Wärme
zu Atomen und Molekülen ausgelösten kranken Stoffe, die der
verweichlichte und erschlaffte Organismus bei seinem ebenfalls
geschwächten Heilvermögen bis dahin nicht los werden konnte.
Klystiere unterstützen diesen Act, und wo Entzündungen sich
zeigen, werden diese durch Umschläge oder Compressen schnell
geheilt. Dies ist der allein richtige Weg, auf dem der Or
ganismus vermöge der ihm innewohnenden regulatorischen
Kraft schnell und sicher sich zur vollkommenen Gesundheit kräf
tigt, und so nachtheiligen. Folgen niemals ausgesetzt ist.
Ganz anders wirken aber die künstlichen Mittel. Der
Kranke wird bis auf das Aeußerste abgeschwächt und gewinnt,
sofern die Natur sich schließlich noch allein hilft, sehr langsam
neue Kraft. Wir sehen dies täglich bei einzelnen Kranken,
die oft Wochen und Monate an das Krankenzimmer gefesselt
sind und dann noch öfter lebenslänglich im kranken und siechen
Zustande vegetiren. Schon diese Andeutung stellt die Vor
theile des einen und die Nachtheile des anderen Heilverfahrens
in das klarste Licht, wir haben daher nicht nöthig, diesen Ge
genstand noch weiter zu erörtern. Nur eins wollen wir noch
erwähnen, nämlich — das eigene Urtheil der Allopathen über
die sogenannten heroischen Mittel, die Gifte. Von diesen
sagt man, sie haben den Nachtheil, daß man ihre Wirkung
nicht auf das kranke Organ einschränken kann, mit ihrer An
wendung vielmehr die Gefahr verknüpft ist, daß man die
ganze Organisation krank macht, während ein einziges Glied
derselben in den Zustand der Gesundheit zurückkehrt.
Die heroischen Heilmittel, (als: Quecksilber, Calomel,
Arsenik, Strichnin, Chinin, Belladonna, Digitalis, Jod rc.)
—, deren man. sich fast bei allen Krankheiten bedient, sind
also nicht von solcher Beschaffenheit, daß sie eine Verbesserung
unseres Körperlebens ermöglichen; sie wirken sogar in dem
selben Grade, wie ein giftiger Nebel auf eine blühende Land
schaft. Wir dürfen daher der privilegirten ärztlichen Autori
tät nicht mehr allein vertrauen, es ist unsere Sache, uns
selbst zu helfen. In dieser Selbsthülfe gelangen wir wett
eifernd zu dem Blüthepunkt unserer Lebenskraft und zu dem
richtigen Gebrauch derjenigen Kräfte, welche uns die Natur
im reichsten Maße, zur Gründung eines paradiesischen Erden
lebens, spendet. Dies führt aber auch zu der Selbstverant
wortlichkeit in Gemeinschaft Anderer. Ohne Selbstverant
wortlichkeit jedes Einzelnen ist keine sittliche, politische Gemein
schaft denkbar; sie allein gewährt Frieden und Sicherheit, ver
langt aber auch die Freiheit.
Dies Ziel menschlicher Glückseligkeit oder das goldene
Zeitalter konnte man sich zur Zeit der Sclaverei und der
Leibeigenschaft nicht anders, als im religiösen Sinne, im Hin
blick auf ein Jenseits, denken. Heute ist es anders, wir er
kennen auch schon hier jenes gelobte Land, und schon so Man-