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rathung wichtig erscheinen mußte, namentlich betreffs der Farbe
und sonstigen Beschaffenheit Ihrer Haut, Ihres Urins, sowie
der Temperatur in den Füßen und im Kopfe re., so glauben wir
doch, daß Ihr scheinbares sog. catarrhalisches Allgemeinleiden die
Folge von Blutstockungen in dem Venen-Gefäßsystem ist, wel
ches der Leberthätigkeit als Unterlage dient. Sitzende Le
bensweise bei gleichzeitiger reichlicher Ernährung, unter Hinzu
tritt innerer Reize, (als welche der Alkohol und der Gerbstoff
des bayrischen Bieres resp. Weines, wie das Cigarrenrau
chen re. anzusehen sind), begründen sehr häufig Zustände der
Art, wie der hei Ihnen hervortretende sich darstellt. Das
uebel mußte sich aber steigern und zu einer vorzugsweisen Be
lästigung aller Schleimhäute sich gestalten, je weniger die
äußere Körperhaut, für ihr? Functionen kräftig erhalten,
ja in dieser ihrer Befähigung direct benachtheiligt wurde, wie
es bei Ihnen wahrscheinlich durch Ihre frühere Lebensweise
und zuletzt durch den Gebrauch der warmen Soolbäder in
Kissingen geschehen ist. Sie brachten jedenfalls nach letzterem
Orte schon em wenig gepflegtes (ein nicht durch leichte Klei
dung und kühle Waschungen kräftig erhaltenes) Hautsystem
mjt und würden daher vermuthlich selbst von einem Seebade
(kaltem Salzbade) keine sehr große Wirkung gehabt haben,
weil eine schwache Haut nicht durch starke Reize, sondern nur
unter allmäliger, stufenweiser Hebung ihres Nerven- und Blut
zustandes regenerirt werden kann; noch viel nachtheiliger aber
als kalte Seebäder mußte Ihnen, wenn Sie schon von schwa
chem Hautsystem waren, der Gebrauch warmer Soolbäder
werden; denn Wärme erschlafft, und zwar künstliche noch mehr,
als natürliche. Dazu kam die innere Anwendung des Ra-
koezy. Durch dieses neben seinem starken Chlornatrium-Ge
halt auch ziemlich eisen- und jodhaltige Mineral.vasser konnte
wohl die Magenschleimhaut mechanisch auf einige Zeit von ihrer
Verschleimung befreit und daher die Säurebildung im Magen
mehr oder weniger lange beseitigt werden; aber zu heben
war der Grund dieser Säurebildung und Verschleimung durch
das Mineralwassertrinken gewiß keineswegs; noch einige Mo
nate, und Sie werden sich viel mehr als früher davon belä
stigt fühlen — die Vorboten davon find schon da, in dem
fortwährenden magenkrampfähnlichen Zustande und der schein
baren Eongestionsbefreiung der Darmhaut.
Wir müssen daher Ihren Entschluß, sich einer naturärzt
lichen Behandlung zuzuwenden, für sehr an der Zeit erklä
ren, Sie aber auch darauf aufmerksam machen, daß Sie schwer
lich in einem Sommer (sammt Einleilungsbehandlung) wie
der gut machen können, was innerhalb Jahren sich begründet
hat und durch die Kissinger Soole sicher eher verschlimmert,
als gebessert worden ist. — Zunächst haben wir an Ihrer
jetzigen Lebensweise auszusetzen, was davon im letzten Satze
Ihrer Zuschrift bemerkt. Sodawasser, Wein und Cigarren
hätten unbedingt wegzufallen schon für die Zeit einer jetzigen
Einleitung der für später beabsichtigten Kur und die Nach
theile der sitzenden Lebensweise müßten möglichst paralysirt
werden durch nach und nach steigende Bewegung sowohl im
Spazierengehen, als in zimmerghmnastischer Uebung Dann
haben Sie in Ihrer Vorkur vor Allem auch die Hebung der
Hautfunction anzustreben und Sie werden dies erreichen, wenn
Sie anfangen, den Körper mehr an Wasser und Lust zu ge
wöhnen, als bisher der Fall gewesen sein mag. Die dies-
fallsigen nöthigen totalen Waschungen beginnen Sie mit Was
ser, welches frisch geholt ist und durch Zuthat von warmem
auf 18—20 Grad temperirt wird; die Zeit dieser Waschum
gen sei jetzt die unmittelbar vor Bettgehen; morgendliche Wa
schungen haben sich anzureihen, sobald Sie darnach sich Be
wegung, (am besten im Freien, durch einen ca. 1 ständigen
Spaziergang) machen können, wozu die Tageszunahme mehr
und mehr Gelegenheit bietet; bis dahin versäumen Sie we?
nigstens nicht, sich jeden Morgen beim Aufstehen am ganzen
Körper mittels eines Flanells oder dergl. trocken abzureiben;
wenn Sie auf die Früh-Waschungen übergehen, werden sel
bige anfänglich um 2, später um 5 Grad kühler ausgeführt,
als die des Abends. Die Waschungen machen Sie einfach
mit den Händen, im warmen Zimmer. Mit dem Anfang der
Waschungen (zunächst des Abends) führen Sie die Gewohn
heit bei sich ein, auf Matratze zu schlafen und auf den Leib
eine Steppdecke oder dergl. vor Aufdecken eines Federbettes
zu legen; nach und nach aber müssen Sie trachten, die Fe
derbetten überhaupt ganz mit Decken zu vertauschen.
Auch Ihre Kleidung muß allmälig leichter werden, namentlich
beim Gehen, wo Sie durch schnellere Bewegung das überkom
mende Frösteln stets leichter werden bewältigen können. Beim
Sitzen dagegen ist Frostgefühl durch wärmere Bekleidung
(namentlich an den Füßen) — nicht durch größere Ofenhitze,
welche 16 0 R. nicht übersteigen soll — zu bannen. Eignen
Sie sich die Gewohnheit an, nach jedem irgend längeren Gang,
auf welchen Sie in's Sitzen übergehen, die Strümpfe zu wech
seln und Fußwärme im Sitzen jedenfalls (durch, da nöthig,
doppelte Strümpfe oder dergl.) zu erzielen. Die Lavements
wollen Sie nicht blos nach momentanem Bedürfniß gebrauchen,
sondern jetzt zu den stehenden Formen Ihrer Lebensweise ma
chen, aber in der Act, daß Sie laue Klystiere (von 16 — ItzO)
nur zur Erzielung offenen Leibes, im Uebrigen aber- nur
kühle dergl. von 12—14", in halben Portionen 3 Mal
des Tages --- und jedenfalls einmal unmittelbar nach ge-
gehabter Oeffnung und einmal beim Bettgehen (vor der Wa?
schung) anwenden. Das Wasser dazu ist stets frisch zu ho
len und durch Zuthat von warmem zu temperrren. Reduci-
ren Sie auch Ihre Genüsse, erstlich in jeder Hinsicht jetzt auf
ein Minimum- dann auf kühle und überhaupt reizlose Form
und Inhalt, versuchen Sie eine Zeit lang, erst allmälig, dann
aller Fleischnahrung, wie des Rauchens, sich zu ent
halten.
Nach ungefähr 2 Monaten solcher Lebensweise sehen wir
weiterer Benachrichtigung Ihrer Seits entgegen, und werden
uns dann auf Ihren wiederholten Wunsch auch über die Wahl
einer Naturheilanstalt äußern. Vorläufig machen wir Sie
aber darauf aufmerksam, daß uns für Sie eine combini?
rende Anstalt (sei es ursprünglich Schroth'scher oder Prieß-
nitz'scher Form) die geeignetste erscheinen muß, weil es bei
Ihnen starker, auflösender Einwirkungen durch die Haut,
aber anderer Seits auch der fortwährenden Kräftigung der
Haut selbst zur Befähigung der Erfüllung ihrer doppelten Auf
gabe bedürfen wird.
Nebenbei empfehlen wir Ihnen aber angelegentlich, sich
mit den Grundsätzen der Naturheilmethode selbst gründlich be
kannt zu machen und zu diesem Behufe eines der diesfallsigen
zahlreich vorhandenen Werke sich anzuschaffen.
Eine unserer nächsten Nummern wird, da die Kenntniß
nahme von dieser Literatur sehr vielen in ähnlicher Lage sich
Befindenden anzurathen ist, ein Verzeichniß (vervollständigter
Art) von diesen Schriften bringen.
Veräntw. Redakteur und Verleger: Dr. M e i ner t. ~ ' Druck von Liep sch & Reichardt iit Dresden.
Hierzu eine artistische Beilage: die Wasserheilanstalt Schweizermühle in der sächsischen Schweiz.